Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

Greßbritannien. (August 15. —26.) 243 
der Regierung des Sultans Reformen vorgeschlagen, welche nach ihrer 
Meinung notwendig die Wiederholung beständiger Unruhe verhindern. 
Diese Vorschläge werden jetzt von dem Sultan erwogen, und ich erwarte 
sehnlich den Beschluß des Letzteren. Die Königin erklärt schließlich, ange- 
sichts der vorgerückten Jahreszeit würde es wahrscheinlich für angemessener 
befunden werden, die Beratung irgend welcher wichtiger Gesetzentwürfe, 
ausgenommen derjenigen, betreffend die Verwaltungskosten des Jahres, auf 
eine andere Session zu verschieben. 
15. August. (Oberhaus.) Lord Salisbury über die armeni- 
sche Frage und die Türkei. 
Der Premierminister führt aus, die Regierung setze die Politik ihrer 
Vorgänger gegen die Türkei fort. Eine Garantie für die Durchführung 
der geforderten Reformen sei aber noch nicht erlangt. Bisher haben wir 
von den Regierungen Frankreichs und Rußlands die loyalste und gründ- 
lichste Unterstützung erfahren. (Hört! hörtl) Dieselben haben auch den 
ernsten Wunsch ausgesprochen, dieses Zusammenwirken mit uns im ganzen 
Verlaufe aufrecht zu erhalten. (Beifall.) Wenn der Sultan mit Ver- 
schleppung, Hinausschiebung und Entschuldigungen, welche uns weder halt- 
bar noch weise erscheinen, die Sache hintan hält, so geschieht das unglück- 
licherweise unter dem Einfluß einer Täuschung, von der sich türkische Re- 
gierungen nur zu lange haben leiten lassen. Seine einzige Furcht scheint 
zu sein, er könne etwas thun, was die scheinbare Unabhängigkeit seines 
Landes gefährden könnte. Es ist das eine edle Empfindung, der wir alle 
Teilnahme schenken möchten, allein die Unabhängigkeit der Türkei ist zwar 
in das europäische Staatsrecht eingeschrieben und durch die Verträge von Paris 
und Berlin gewährleistet, ist aber doch eine ganz besondere Unabhängigkeit: Sie 
ist eine Unabhängigkeit, die auf Grund der Uebereinkunft anderer Mächte besteht, 
sie nicht anzutasten und sie aufrechtzuerhalten. Wie lange der heutige Zu- 
stand der Dinge andauern wird, das erscheint mir, ich gestehe es, heute mehr 
zweifelhaft als vor zwanzig Jahren. Wenn von Geschlecht zu Geschlecht 
Jammergeschrei aus verschiedenen Teilen des türkischen Reiches erschallt, so 
kann nach meiner Ueberzeugung der Sultan sich nicht über die Wahrschein- 
lichkeit täuschen, daß Europa früher oder später die Hilferufe, die von seiten 
der Pforte zu ihm dringen, überdrüssig werde, und daß die dem türkischen 
Reiche verliehene künstliche Stärke versagen werde. Ich habe mich ganz 
ernstlich bemüht, der türkischen Regierung die Bedenklichkeit ihres Verhaltens 
dringend ans Herz zu legen, aber anderseits auch ihr klar zu machen, daß 
keine Regierung angelegentlicher die Aufrechterhaltung des türkischen Reiches 
wünscht als gerade die englische. 
22. August. (Unterhaus.) Erklärung Balfours über die 
Doppelwährung (val. S. 236). 
Der erste Lord des Schatzes Balfour gibt folgende Erklärung ab: 
Ich bin und war stets für ein internationales Uebereinkommen betreffend 
die stetigste Grundlage der internationalen Umlaufsmittel, habe aber kein 
Recht, meine Kollegen in dieser Beziehung zu verpflichten, ich habe keinen 
Grund zu glauben, daß gegenwärtig eine internationale Konferenz zu einem 
internationalen Einvernehmen führen würde. 
26. August. (Oberhaus.) Geplante Reform des Kriegs- 
ministeriums (vgl. S. 241). 
Der Staatssekretär für den Krieg, Marquis of Lansdowne, 
gibt einen Ueberblick über die beabsichtigte Reform des Kriegsministeriums. 
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