48 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 18.—20.)
Antrag Kanitz wird folgende Resolution einstimmig angenommen: „Die
heutige Generalversammlung des Bundes der Landwirte erklärt die gesetz-
liche Verwirklichung des Antrages Kanitz als das wirksamste Mittel, um
die für die deutsche Landwirtschaft geradezu vernichtende Wirkung der ichigen
Getreidepreise, welche nicht entfernt die Produktionskosten decken, schnell und
erfolgreich zu bekämpfen. Gleichzeitig erblickt die Versammlung eine unab-
weisbare Forderung für die Gesundung unseres gesamten Erwerbslebens
in der internationalen Regelung der Währungsverhältnisse und des Börsen-
wesens auf der Basis des effektiven Geschäfts mit wirklicher Ware."
Eine Resolution Ackermann, die nur solche Gesetze zur Verbesse-
rung der landwirtschaftlichen Notlage verlangt, die mit den Handelsver-
trägen vereinbar sind, kommt nicht zur Abstimmung, da sich die Versamm-
lung von vornherein dagegen erklärt.
18./19. Februar. (Reichstag.) Etat. Anträge auf Abänderung
des Versicherungswesens.
Abg. Hitze (Z.) beantragt, die Mittel der Versicherungsanstalten in
weiterem Umfange als bisher für das landwirtschaftliche Kreditbedürfnis
und für die Erbauung von Arbeiterwohnungen zugänglich zu machen.
Ferner beantragt er, die Regierungen zu ersuchen, schleunigst eine Novelle
zur Alters= und Invaliditätsversicherung vorzulegen. Abg. Auer (Soz.)
und Genossen beantragen, um die Vorlegung eines Gesetzentwurfes zu er-
suchen, wodurch jeder Versicherte mit Vollendung des 70. Lebensjahres einen
Rechtsanspruch auf Altersrente erhält.
Abg. Kruse (nl.) beantragt, die in der Seefischerei beschäftigten
Leute in die Unfallversicherung aufzunehmen und die klimatischen Krank-
heiten der Seeleute den Betriebsunfällen im Sinne der Betriebsunfallver-
sicherung gleichzuachten.
Nach langer Debatte wird der erste Antrag Hitze und der Antrag
Auer abgelehnt, der Antrag Kruse und der zweite Antrag Hitze angenommen
9. Febr.).
19./20. Februar. (Preuß. Abgeordnetenhaus.) Erste
Beratung des Entwurfs eines Stempelsteuergesetzes.
Der Gesetzentwurf will ein einheitliches Stempelrecht für Preußen
schaffen. Er erhöht u. a. den Stempel auf Abtretung von Rechten, Adop-
tionen, Eheverträge, Erbrezesse, Konzessionen, Gesellschaftsverträge, Standes-
erhöhungen und Gnadenerweise.
Abg. Richter (frs. Vp.) sieht in einigen Punkten der Vorlage, so
namentlich in der Besteuerung der Standeserhöhungen, die ihm aber nicht
weit genug gehen, eine Verbesserung, in den anderen aber eine Verschlechte-
rung und will sie deshalb nicht annehmen.
Am zweiten Beratungstage wendet sich Abg. Mies (Z.) gegen den
geplanten Mietstempel, der vorwiegend den kleinen seßhaften Mittelstand
treffe, ebenso der Versicherungs-Kauf-Vertrags= und Lieferungsstempel. Abg.
Gamp (fk.) betont gegen den Abg. Richter, daß Standeserhöhungen und
Ordensauszeichnungen als Allerhöchste Gnadenbeweise frei bleiben müßten.
Auf verschiedene Vorwürfe, das Gesetz mit großer Heimlichkeit vorbereitet
zu haben, entgegnet Finanzminister Miquel: Man habe die Handels-
kammern nicht befragt, um nicht eine laute Agitation wie bei der Bier-
und Tabaksteuer hervorzurufen, Sachverständige seien aber befragt worden.
Wenn die Steuer auf Titel u. s. w. zu hart erscheine, so könne die Krone
den Stempel erlassen. Die Mietsteuer sei unerheblich, da sie kaum 1 Mill.