Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreizehnter Jahrgang. 1897. (38)

98 Das eesche Reich und seine einjeluen Glieder. (Mai 28.) 
genug, um ihr so große Vollmachten zu gewähren, als sie in der Vorlage 
verlange. Der Antrag der Freikonservativen sei ihm auf den ersten Blick 
sympathisch erschienen, aber er sei immer mehr zu der Ansicht gelangt, daß 
der Antrag, der ein kleines auf Preußen beschränktes Sozialistengesetz 
schaffen wolle, unannehmbar sei. Seine Partei werde lediglich für die 
Kommissionsbeschlüsse stimmen, und wenn auf dieser Basis nichts zu stande 
komme, so müßten jene Parteien die Verantwortung tragen, welche die 
Beschlüsse der Kommission ablehnten. Abg. Graf Limburg-Stirum 
(kons.) befürwortet die Anträge, die kein allgemeines Vertrauensvotum für 
die Regierung bedeuteten. Sie seien nur der Anfang zu einer notwendigen 
Aktion gegen alle umstürzlerischen Bestrebungen. Abg. Dr. Porsch (3.): 
Die bestehenden Gesetze reichten aus; die Anträge legten den Polizeibeamten 
eine schwere BVerantwortung auf. Eine ungerechte Auflösung werde mehr 
Unzufriedenheit erzeugen als alle Versammlungen. Auch das Sozialisten- 
gesetz habe die Ausbreitung der Sozialdemokratie nicht hindern können. 
Minister v. d. Recke: Er bitte die Art. I und lll wiederherzustellen. Der 
Ansicht, als ob die Sozialdemokratie in der Mauserung begriffen sei, müsse 
entschieden entgegengetreten werden. Die Sozialdemokratie sei und bleibe eine 
revolutionäre Partei. Die Aeußerungen der Presse gegen die Vorlage hätten 
auf ihn nicht den geringsten Eindruck gemacht. Die Presse habe die öffent- 
liche Meinung nicht richig wiedergegeben, sondern gefälscht. Sei die Vor- 
lage ein Ausfluß von Reaktion, so könne das nur eine gesunde Reaktion 
sein. Die Befürchtung etwaiger Mißbräuche sei unlogisch; über solche Be- 
denken müsse man sich um des Zweckes willen hinwegsetzen. Die Regierung 
bedürfe unbedingt verstärkter Machtmittel. Abg. Motty (Pole) wendet 
sich gegen die Regierungsvorlage und alle Anträge. Abg. v. Kardorff 
(RP.): Mit geistigen Waffen könne man gegen die Sozialdemokratie nichts 
ausrichten, die selbst nur durch Verhetzung und Terrorismus wirke. 
Der Antrag des Grafen Limburg wird gegen die Stimmen der 
Konservativen abgelehnt; ebenso die Regierungsvorlage. Ueber den Antrag 
v. Zedtlitz wird namentlich abgestimmt. Bei Anwesenheit von 399 Mit- 
gliedern wird der Antrag v. Zedtlitz mit 206 gegen 193 Stimmen unter 
großem Beifall der Linken und des Zentrums abgelehnt. Für den Antrag 
stimmt mit den beiden konservativen Gruppen der nationalliberale Abg. 
Bueck. — Artikel I und lII der Regierungsvorlage bleiben also gestrichen. 
— Angenommen wird gegen die Stimmen des Zentrums und der Frei- 
sinnigen Artikel II nach dem Beschluß der Kommission, wonach an Ver- 
sammlungen, in denen politische Angelegenheiten erörtert oder beraten 
werden „sollen“, Minderjährige nicht teilnehmen dürfen. 
Artikel IV hebt das Verbindungsverbot auf und bestimmt, daß 
Minderjährige politischen Vereinen nicht beitreten und Versammlungen der- 
selben nicht anwohnen dürfen. Abg. Krause (nl.) beantragt, Absatz 2 wie 
folgt zu fassen: „An den von solchen Vereinen veranstalteten Versamm- 
lungen und Sitzungen, in denen politische Angelegenheiten erörtert oder 
beraten werden sollen, dürfen Minderjährige nicht teilnehmen. Anderen 
Versammlungen und Sitzungen dürfen Minderjährige, sowie weibliche Per- 
sonen beiwohnen.“"“ Dieser Antrag wird angenommen. 
Zu Artikel V beantragen die Konservativen die Wiederherstellung 
der Regierungsvorlage, betreffend die Auflösung von Versammlungen, in 
denen Minderjährige anwesend sind; diese Bestimmung war von der Kom- 
mission gestrichen worden. 
Abg. v. Zedtlitz (frkons.) schlägt vor, die Auflösung erst nach einer 
vergeblichen Aufforderung an die Minderjährigen, die Versammlung zu 
verlassen, eintreten zu lassen. Abg. Krause (nul.): Die Nationalliberalen
	        
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