Großbritannien. (November Mitte—Dezember.) 251
sei es gelungen, den europäischen Frieden zu wahren, der von so unge-
heurer Wichtigkeit sei. Es sei ein großes Lob und eine Errungenschaft für
Europa, die Kriegskalamität verhütet zu haben. Europa habe auch Griechen-
land verhindert, Selbstmord zu begehen, daher werde kein Unparteiischer
den europäischen Mächten vorwerfen, daß sie nicht alle Kräfte aufgeboten
hätten, Griechenland am Kriege zu verhindern. Die Aufgabe der Mächte
sei aber noch nicht beendet. Noch liege die kretische Frage vor. Wenn
diese sich lange hinziehe, dürfe man die handelnden Faktoren der euro-
päischen Politik nicht tadeln. Man dürfe von dem Konzerte nicht ver-
langen, das zu thun, was es nicht leisten könne. Das Konzert habe viele
Tugenden, aber die der Schnelligkeit sei ihm nicht eigen. Den Kritikern
gebe er zu bedenken, daß, wenn das Konzert nicht bestanden hätte, keine
Macht vorhanden wäre, die etwas besseres hätte leisten können. Ein voll-
ständiges Vorgehen einer Macht gegen das Vorgehen der anderen würde
einen verheerenden europäischen Krieg ergeben haben. Er hoffe, daß das
Einvernehmen der Mächte fortdauern werde und daß die zu lösenden Schwie-
rigkeiten eine befriedigende Behandlung finden- werden. Man möge im Auge
behalten, daß die Föderation Europas ein Embryo sei, und zugleich das
einzige Gebilde, welches die Civilisation vor der Verwüstung des Krieges
bewahren könne. Die einzige Hoffnung, zu verhindern, daß der Wettbe-
werb der europäischen Mächte in ihren Rüstungen auf ein Streben nach
gegenseitiger Vernichtung hinauslaufe, bestehe darin, daß die Mächte all-
mählich dahin gebracht werden dürften, in allen Fragen in freundlichem
Geiste zusammen zu handeln, bis sie zuletzt zu einem internationalen Ge-
bilde zusammen geschweißt sind, das der Welt schließlich eine lange Zeit
ungehemmmter Handelsthätigkeit und dauernden Frieden gibt.
Mitte November. Konkurrenz zwischen England und Frank-
reich in Westafrika.
Es finden Verhandlungen in Paris zwischen England und Frank-
reich über die Abgrenzung ihrer Interessensphären im Nigergebiete statt.
Die Presse begleitet die Verhandlungen mit Aufmerksamkeit, der Ton ist
gelegentlich sehr gereizt; so sagt die „Morning Post“: Jedermann in
England würde gern Frankreich in bezug auf Westafrika jedes vernünftige
Zugeständnis machen; aber wenn die französische Regierung den Krieg
wolle, so sei nichts leichter als das; sie brauche nur auf unberechtigten
Forderungen nachdrücklich zu bestehen. Die britische Admiralität und das
Kriegsamt seien zweifellos auf ihrer Hut und hätten alle nötigen Vor-
kehrungen getroffen. Die britische Regierung werde jedoch nicht zögern,
lieber einige Gefahr zu laufen, als so zu erscheinen, als schlage sie einen
herausfordernden Ton an.
November. Dezember. Die Presse über die deutsche Expe-
dition nach Ostasien und die deutsche Flottenfrage (vgl. S. 172).
Sämtliche Blätter erkennen an, daß die deutsche Politik mit der
Besetzung Kiau-Tschaus in eine neue Epoche eintrete; sie geben die Berech-
tigung des deutschen Vorgehens zur Bestrafung der Mörder der Missionare
zu, stellen aber gegen eine dauernde Besetzung des Hafens Einspruch ande-
rer Mächte in Aussicht. Allmählich werden die Kritiken schärfer, und es
wird auf die Bedrohung der englischen Interessen in Ostasien durch Deutsch-
lands Vorgehen hingewiesen. Auch die geplante Vermehrung der deutschen
Flotte wird durchweg als gegen England gerichtet aufgefaßt. Es erfolgen
daher, insbesondere seit der Kieler Rede, die schärfsten Angriffe gegen
Deutschland und den Kaiser persönlich. Dagegen wendet sich der radikale