Stalien. (Mai 22.—Juni 22.) 275
Kolonie auf dem gegenwärtigen Stand zu erhalten, würde man noch 30
Millionen benötigen. Wenn Schoa angreifen würde, würde man zwei
Armeekorps mobilisieren müssen, was 80 Millionen Lire kosten würde.
Man müßte also daran denken, eine große Kolonialarmee zu schaffen, die
35 Millionen Lire in Anspruch nähme. Wenn er die Verantwortung für
ein Verbleiben auf dem abessynischen Hochplateau bei einer Ausgabe von
19 Millionen — nach den Berechnungen des Generals Baldissera für die
Zeit des Friedens — auf sich genommen habe, da es sich nur um einen
vorübergehenden Zeitabschnitt handelte, so könne er doch die Verantwortung,
dort noch länger zu bleiben, mit den 7 Millionen, die jetzt dafür ausgesetzt
seien, nicht übernehmen. (Unruhe.) Wenn man auf dem Hochplateau ruhig
weiter bleiben wolle, müsse man die dazu nötigen Summen schaffen, indem
man die Grundsteuer um ½0 und die Salzsteuer um 10 Centimes erhöhe.
Eine sofortige Aufgabe der Kolonie würde eigentlich die logische Folge sein.
Aber die Logik sei nicht der einzige Koefficient für weise Entschlüsse in der
Politik. Keiner der Interpellanten habe, obwohl er den Rat gab, die
Kolonie aufzugeben, der Regierung geraten, das gegenwärtig besetzte Gebiet
dem Negus wieder abzutreten und Massauah einer andern Macht zu über-
antworten. Hier lägen die ernsten Schwierigkeiten für die Praxis. Das
italienische Nationalgefühl gäbe die Abtretung Kassalas an Egypten zu,
werde es aber nicht gestatten, die italienischen Besitzungen dem Negus zu-
rückzugeben. Das Land verkenne nicht, daß ein Aufgeben Massauahs —
den Einfluß gar nicht zu rechnen, den dieser Besitz im Roten Meer auszu-
üben gestatte —, Italien in internationale Schwierigkeiten stürzen könne,
die nicht leicht zu nehmen seien. Wenn man also heute den Beschluß fassen
wollte, die Kolonie sofort aufzugeben, so würde dies ein schwerer Irrtum
sein, der sehr ernste Verwickelungen mit sich bringen könne. (Unruhe.) Die
Regierung schlage vor, sobald es die Lage der Dinge gestatte, die militä-
rische Besetzung auf das Mindestmaß zurückzuführen und sie möglichst auf
Massauah allein zu beschränken, ferner weder ganz noch teilweise die von
der italienischen Souveränität abhängenden Gebiete abzutreten, vielmehr ein
Gebiet unter eingeborenen Häuptlingen nach freier Wahl Italiens zu
schaffen und endlich sobald wie möglich der provisorischen Besetzung von
Kassala ein Ende zu machen. Um dieses Programm nach und nach zur
Ausführung zu bringen, müsse man mit England ein Einvernehmen treffen
behufs Wiederabtretung Kassalas an Egypten und ferner die Grenzfage mit
dem Negus endgültig regeln. Da sich nicht sagen lasse, wann dieses Pro-
gramm durchgeführt werden könne, verlange die Regierung einen Kredit
von 19 Millionen Lire für das Rechnungsjahr 1897/98. Die Regierung
sei bereit, den Wünschen der Kammer entgegenzukommen, sie sei dagegen
nicht geneigt, ihre Politik zu ändern (lang andauernde Zwischenrufe), sie
würde daher nicht auf ihrem Posten bleiben, wenn die Kammer gegenteiliger
Ansicht sein sollte.
22. Mai. Die Kammer billigt mit 242 gegen 92 Stimmen
die afrikanische Politik der Regierung.
8. Juni. Die Kammer genehmigt in geheimer Abstimmung
mit 163 gegen 83 Stimmen die Reorganisation des Heeres.
13. Juni. (Neapel.) Feierliche Enthüllung eines Viktor
Emanuel-Denkmals in Gegenwart des Königs.
22. Juni. Die Kammern beschließen eine Glückwunschadresse
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