Griechenland. (März 2.—8.) 315
2. März. (Athen.) Die Legationssekretäre der Großmächte
überreichen der griechischen Regierung folgende identische Note:
„Auf Befehl meiner Regierung bringe ich zur Kenntnis Eurer Ex-
zellenz, daß die Großmächte beabsichtigen, die Verhaltungslinie festzustellen,
welche bestimmt ist, einer Lage ein Ende zu machen, der vorzubeugen nicht
von ihnen abhing, deren Verlängerung aber danach angethan sein würde, den
Frieden Europas zu gefährden. Die Mächte haben sich über die beiden
folgenden Punkte geeinigt: Erstens, Kreta könnte auf keinen Fall unter
den gegenwärtigen Umständen von Griechenland annektiert werden. Zweitens,
angesichts der durch die Türkei herbeigeführten Verzögerung in der Anwen-
dung der mit ihr vereinbarten Reformen sind die Mächte entschlossen, unter
voller Aufrechterhaltung der Integrität des ottomanischen Reiches Kreta
mit einem vollständig durchgeführten Selbstverwaltungssystem auszustatten,
welches bestimmt ist, der Insel eine besondere Regierung unter der hohen
Souzeränität des Sultans zu sichern. Die Verwirklichung dieser Absichten
würde nach Ansicht der Mächte nur zu erreichen sein, durch die Zurück-
ziehung der griechischen Schiffe und Truppen aus Kreta. Die Mächte er-
warten zuversichtlich von der Weisheit der griechischen Regierung die Ent-
sechließung, daß sie nicht auf einem den Beschlüssen der Mächte zuwider-
laufenden Wege verharren wolle. Die Gesandten verhehlen nicht, daß ihre
Instruktionen ihnen vorschreiben, der griechischen Regierung im voraus
mitzuteilen, daß im Falle einer Weigerung die Mächte unwiderruflich ent-
schlossen sind, vor keinem Zwangsmittel zurückzuschrecken, wenn nach Ablauf
einer Frist von sechs Tagen die Zurückrufung der griechischen Truppen und
Schiffe aus Kreta nicht erfolgt ist."“
8. März. (Athen.) Der griechische Minister des Auswär-
tigen antwortet auf die identische Note der Großmächte:
„Herr Gesandter, ich habe die Note empfangen, welche Sie mir die
Ehre erwiesen haben, im Auftrage der Regierung unter dem 2. März mir
zuzustellen. Die königliche Regierung hat mit all der Aufmerksamkeit, welche
sie verdienen, die Punkte geprüft, über welche die Großmächte sich geeinigt
haben. In Anbetracht der außerordentlichen Wichtigkeit derselben, wegen
der Ergebnisse, die deren Folge sein werden, hält es die Regierung Seiner
Majestät für ihre Pflicht, Herr Gesandter, den Großmächten ihre Meinung
über die angeordneten Maßnahmen zu unterbreiten, eine Meinung, welche
das Ergebnis langer Erfahrung und gründlicher Kenntnis der Lage auf
Kreta ist. Durchdrungen von den Gefühlen, welche die Großmächte beseelen,
sowie von deren Sorge um den allgemeinen Frieden, wird die hellenische
Regierung diese Pflicht nicht verfehlen, da auch Griechenland den heißen
Wunsch hegt, zur Aufrechterhaltung des Friedens beizutragen, und die so
hart geprüfte und so viele Male dezimierte Bevölkerung der Insel vor dem
völligen Untergange zu bewahren. Wir glauben, daß das neue autonome
Regime, welches die Großmächte soeben angenommen haben, leider nicht den
edlen Absichten wird entsprechen können, welche dasselbe eingegeben haben,
und daß es das Schicksal der verschiedenen Verwaltungssysteme erfahren
wird, welche zu verschiedenen malen und ohne Erfolg in Kreta versucht
worden sind. Es ist nicht das erstemal, daß Kreta sich in diesem Zustande
der Erhebung befindet. In den jüngsten Zeiten haben mehr als sechsmal
die Greuel der Anarchie seine Existenz erschüttert und gefährdet. Wenn
daher das neue Regime, mit welchem Kreta bedacht werden soll, nicht von
der Art ist, um die Ordnung in endgültiger Weise wiederherzustellen, so
hat die hellenische Regierung keinen Zweifel über die Unmöglichkeit, dem