Mebersicht der politischen Eutwichelung des Jahres 1897. 343
der Kommissare brachen zu Beginn des vorigen Jahres die alten
Glaubenskämpfe, begleitet von Mord und Plünderung wieder aus;
von Kandia ausgehend pflanzten sie sich nach Rethymo, Kanea und
über die ganze Insel fort. Wie das Jahr zuvor hatten die Christen
bald die Oberhand, die Muhamedaner und türkischen Garnisonen
wurden im Innern an mehreren Punkten eingeschlossen und auch
in den Hafenstädten bedroht. Auf die Kunde von der Erneuerung
der Greuel eilten Kriegsschiffe der Großmächte herbei (Anf. Febr.),
aber deren Macht reichte nicht über einige Küstenplätze hinaus.
An eine baldige Wiederherstellung der Ruhe im Innern war um
so weniger zu denken, als die Aufständischen fortgesetzt von Griechen-
land materielle und moralische Unterstützung erhielten. In Griechen-
land, das bereits den vorigen Ausstand durch Sendung von Pro-
viant und Freiwilligen genährt hatte, war die panhellenische Be-
geisterung mehr als je aufgelodert. Stürmisch forderten Presse und
Volksversammlungen staatliche Unterstützung der geknechteten Kreter
in ihrem Freiheitskampfe. Die Kammer faßte ähnliche Beschlüsse, Griechen-
und bald war Losreißung Kretas von der türkischen Herrschaft und and.
Vereinigung mit Griechenland das Ideal, das alle hellenischen
Gemüter beherrschte. Der Nationalbund, die Ethnike Hetairia, der
noch aus der Zeit der Türkenherrschaft stammend die politische
Vereinigung aller Griechen anstrebt, schürte eifrig das Feuer; aus
seinen Mitteln, die vornehmlich die reichen griechischen Bankiers
im Auslande aufbrachten, wurden die Kosten der Expeditionen nach
Kreta bestritten. Das Gros des Offizierkorps und viele Regierungs-
mitglieder gehörten zu seinen Anhängern und sorgten für die
Verbreitung seiner Bestrebungen. Die Regierung konnte sich der
allgemeinen Begeisterung ohne die Gefahr, eine Revolution herauf-
zubeschwören, nicht widersetzen. Sie mobilifierte daher die Flotte
(8. Febr.) und sandte bereis am folgenden Tage die Torpedoboots-
Division unter einem Mitgliede des königlichen Hauses, dem Prinzen
Georg, den Insurgenten zu Hilfe. Die Warnung der Großmächte,
ihr Friedenswerk nicht zu durchkreuzen und sich nicht in unabseh-
bare Schwierigkeiten zu stürzen, beantwortete sie mit der offiziellen
Mitteilung, Kreta besetzen zu wollen, da sie den türkischen Grau-
samkeiten gegen ein glaubens- und stammverwandtes Volk nicht