344 Aebersicht der peliltischen Enimickelung des Jahres 1897.
länger unthätig zusehen könne. (11. Febr.) In Kreta hatten die
Aufständischen mittlerweile unter dem Eindruck der Nachrichten aus
Griechenland einen weiteren Schritt gethan: sie hatten die National-
flagge gehißt und die Vereinigung mit Griechenland verkündet
(9. Febr.). Wenige Tage später ging Griechenland zu offenen
Feindseligkeiten über: es entsandte den populären und dem König
persönlich nahe stehenden Oberst Vassos mit 1500 Mann nach Kreta,
und dieser ergriff im Namen seines Herrn feierlich Besitz von der
Insel (16. Febr.). Ob die Minister und der König von der
Durchführbarkeit des Unternehmens überzeugt waren und die Hoff-
nung hegten, durch schnelle Eroberung der Insel ein tait accompli
zu schaffen, das die Mächte schließlich des lieben Friedens willen
annehmen würden, oder ob sie ausschließlich unter dem Druck der
allgemeinen Aufregung handelten, mag dahin gestellt bleiben.
Stellung Die Großmächte standen nun vor der Frage, ob sie diesen
tßh. Angriff auf türkisches Gebiet dulden sollten oder nicht. Er enthielt
mächte, einen offenbaren Friedensbruch und bezeigte wenig Achtung vor
den vereinigten Großmächten, deren Bemühungen, Kreta zu be-
ruhigen, er einfach unmöglich machte. Wenn sie unthätig zusahen
und die griechischen Insurgenten im Verein mit den Truppen des
Königsreichs die Muhamedaner und türkischen Garnisonen bekämpfen
ließen, so war ein langer verheerender Bürgerkrieg auf der Insel
und ein Krieg zwischen Griechenland und der Pforte auf der
Balkanhalbinsel unvermeidlich; ja es war sogar wahrscheinlich, daß
die übrigen Balkanstaaten durch die Nachsicht der Großmächte er-
mutigt, dem Beispiele Griechenlands folgen und ebenfalls Ansprüche
auf türkisches Gebiet erheben würden. Ein allgemeiner Krieg auf
der Balkanhalbinsel und Aufstände aller Orten im türkischen Ge-
biete mit Erneuerung der bekannten Greuelscenen hätten entstehen
müssen. Diesen Weg einzuschlagen verbot, abgesehen von den
Gründen der Humanität, das Interesse der einzelnen Großmächte,
insbesondere Osterreichs und Rußlands, in diesem Todeskampf der
Türkei unthätig zu bleiben. Ebenso unmöglich war ein anderer
Ausweg. Die Großmächte hätten ja den Anlaß benutzen und den
ewigen Kämpfen im Orient dadurch ein Ende machen können, daß
sie die politische Herrschaft des Sultans vernichteten und sein Ge-