346 Nebersicht der pvolitischen Eutwickelung des Jahres 1897.
Tuchs Weniger unmittelbar beteiligt an den Orientwirren sind
Deutschland und Frankreich. Kommerzielle Beziehungen, Bündnisse
mit den Ostmächten, das allgemeine staatliche Interesse, keine be-
deutende Machtverschiebung ohne ihre Mitwirkung zuzulassen und
der Wert, den sie auf die Erhaltung des europäischen Friedens
legen, regeln ihre orientalische Politik. Da nun jede Veränderung
im Orient die Gefahr eines Krieges mit sich bringt, trat Deutsch-
land entschieden für die Zurückweisung des griechischen Vorgehens
und für die Aufrechterhaltung der Integrität der Pforte ein. Allein
dies Bestreben, den Frieden zu sichern und nicht Wohlwollen für
den Sultan oder Abneigung gegen die wortbrüchige hellenische Re-
gierung, um sie für die Hintergehung der deutschen Besitzer von
griechischen Staatspapieren zu bestrafen, war das leitende Motiv
Frank= dieser Politik. Es verbot sich eben für Deutschland, sich der kre-
reich tischen Griechen willen mit Rußland zu entzweien und womöglich
in einen großen Krieg verwickeln zu lassen, um so mehr, da es,
wie wir noch sehen werden, bei der Schwäche seiner Flotte dem
Ausgange eines solchen Krieges nicht mit Zuversicht entgegensehen
kann. Frankreichs Haltung war ähnlich; wie Rußland bedurfte es
zur Betreibung seiner erfolgreichen Kolonialpolitik in Asien und
Afrika der Ruhe in Europa, und wenn wirklich irgendwo Neigung
vorhanden war, einen allgemeinen Krieg zu entfesseln, in der Hoff-
nung, Metz und Straßburg durch ihn wiederzuerobern, so verbot
das die Rücksicht auf den russischen Bundesgenossen. Italien end-
lich hatte vollends kein Interesse an einer kriegerischen Verwicklung.
England. Sämtliche Kontinental-Mächte waren also in dem Wunsche,
den gegenwärtigen Zustand zu erhalten einig — ganz anders aber
stand England. Schon lange erfüllte die britische Regierung das
stetige Vordringen Rußlands in Asien mit Sorge: der Bau der
sibirischen Bahn und sein steigender Einfluß in Korea und China,
die Befestigung seiner Herrschaft in Zentralasien und sein täglich
enger werdendes Verhältnis zu Persien flößten ihr nicht nur für
ihre kommerzielle Stellung, sondern auch für ihre politische Herr-
schaft in Indien Besorgnisse ein. Ein wirksames Mittel, dem Vor-
dringen Rußlands direkt entgegenzutreten, besitzt England nicht, es
muß daher suchen, die russische Regierung mit anderen Dingen zu