Das Dentsche Reich und seine einzeluen Glieder. (Februar 20.—22.) 45
20. Februar. Die „Nordd. Allgem. Ztg.“ veröffentlicht
(offiziös) folgende Mitteilung über die orientalische Frage und die
deutsche Politik.
Die von Reuters Bureau gebrachte Nachricht, Lord Salisbury habe
den deutschen Blokade-Vorschlag dahin beantwortet, daß, bevor eine Aktion
gegen Griechenland unternommen würde, die zukünftige Verfassung Kretas
unter den Mächten zu beraten und dabei eine Autonomie der Insel nach
dem Vorbilde von Samos ins Auge zu fassen sei, ist nach unseren Infor-
mationen zutreffend. Wie wir hören, ist die deutsche Regierung, getren
ihrer bisherigen Kaltung, bereit, mit den Mächten in Verhandlungen über
die zukünftige Gestaltung Kretas unter zwei Voraussetzungen einzutreten:
Einmal muß dabei eine Annexion Kretas durch zusehungen. außer Be-
tracht bleiben, welche keinerlei Gewähr für die Herstellung geordneter Zu-
stände auf der Insel bieten, dagegen für die übrigen Balkanvölker einen
gefährlichen Präzedenzfall schaffen würde. Ferner aber ist vor Eintritt in
jene Verhandlungen der völkerrechtswidrigen Aktion Griechenlands ein Ende
zu machen, deren Fortdauer eine steigende Kriegsgefahr enthält.
22. Februar. (Reichstag.) Etat des Auswärtigen Amts.
Marschall über die Krisis im Orient. Lage der griechischen Staats-
gläubiger.
Berichterstatter Prinz Arenberg (3.): Die Befriedigung der be-
rechtigten Ansprüche der deutschen Gläubiger Griechenlands sei noch nicht
elungen, in der Büdgetkommission sei von seiten des Auswärtigen Amts
jedoch die bestimmte Erklärung abgegeben worden, die Reichsregierung werde
die Angelegenheit mit Nachdruck verfolgen. Abg. Hasse (nl.) wünscht
Auskunft über die Rolle Deutschlands im Orient. Das deutsche Interesse
bestehe in der Aufrechterhaltung des europäischen Friedens, und er habe
die Ueberzeugung, daß unsere auswärtige Politik dort auch in diesem Sinne
geleitet werde. Sollten allerdings die gegenwärtigen Ereignisse zu einer
Verschiebung der Machtverhältnisse unter den Großmächten führen, so hege
er die Hoffnung, daß es niemals geschehe, ohne daß auch den deutschen groß-
mächtlichen Interessen Rechnung getragen werde.
Staatssekretär des Ausw. Amts v. Marschall: Meine Herren, auf
die Anfrage des Herrn Vorredners wegen der kretischen Frage kann ich
zunächst folgendes in thatsächlicher Beziehung erwidern. Sr. Majestät
Schiff „Kaiserin Augusta“ ist gestern Vormittag vor Canea eingetroffen
und hat sofort 50 Mann in der Stadt gelandet; bereits am Nachmittag
ist das Schiff in Aktion getreten: auf Grund einer Vereinbarung der kom-
mandierenden Offiziere haben russische, englische, österreichische Schiffe und
unser deutsches Schiff auf eine größere Insurgentenschaar geschossen, die
unter griechischer Flagge von Osten gegen das von den Mächten besetzte
Canea in feindseliger Weise vorrückte. Die Insurgenten wurden durch die
Schüsse zurückgetrieben. So begreiflich ich den Wunsch des hohen Hauses
finde, über den Stand der brennenden kretischen Frage näher unterrichtet
zu werden, so muß ich doch in diesem Augenblick darauf verzichten (Sehr
richtig!), eine eingehende Mitleilung darüber zu machen. Was ich sagen
kann, ist folgendes: Die Linie der deutschen Politik ist auch hier klar vor-
gezeichnet: entschlossen einzutreten zur Erhaltung des Friedens. (Bravo!)
Deutschland hat im Orient keinerlei Sonderinteressen zu verfolgen. (Sehr
richtig !) Um so fester und um so rückhaltloser können wir uns der hohen
Aufgabe widmen, nach unseren Kräften einzutreten zur Erhaltung des