50 Jas Veuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 23.)
die Matrikularbeiträge über ihren Maximalbetrag nicht erhöhen und müßte
also eventuell neue Steuern bewilligen. Ich kann auch diesen Einwand,
der theoretisch zwar recht annehmbar erscheint, praktisch als berechtigt nicht
anerkennen. Zunächst steht das unbeschränkte Matrikularbeitragsrecht des
Reichs nur auf dem Papier. Der Reichstag kann das Matrikularbeitrags=
recht ebensowenig wie die Reichsfinanzverwaltuug und die verbündeten Re-
gierungen über eine bestimmte Grenze ausnutzen. Wenn auch viielleicht
größere Staaten in der Lage sind, steigende Matrikularbeiträge zu ertragen
und in ihrem Finanzhaushalt auszugleichen, weil sie dann andere Aus-
gaben ihres Landesetats zurückstellen können, so sind die kleineren deutschen
Bundesstaaten bei ihren beschränkten Etats hierzu nicht in der Lage, und
das Recht, Matrikularbeiträge zu fordern, zu scharf anzuspannen, heißt
nichts als eine Anzahl kleinerer Staaten in die Zwangslage bringen, daß
sie weder wirtschaftlich noch vielleicht politisch weiter existieren können.
(Sehr richtig! rechts.) Außerdem hat doch der Reichstag gegenüber allen
Ausgaben, die ihm vorgelegt werden, das Recht der Ablehnung, und er
hat das Recht der Ablehnung auch gegenüber neuen Steuervorlagen. Auf
den Standpunkt wird sich selbstverständlich kein Reichstag stellen, daß
er deshalb an sich begründete sachliche Forderungen ablehnt, um keine neue
Steuern zu bewilligen. Denn, was notwendig ist, das muß im Interesse
der Erhaltung des Reichs und der Erfüllung seiner Aufgaben gewährt
werden. Und, meine Herren, daß der Reichstag die Kraft hat, neue
Steuern, die er für unnötig hält, abzulehnen, davon hat er ja bei der Be-
ratung des ersten Finanzreformgesetzes eine ganz hübsche Probe abgelegt.
(Heiterkeit.) Ich glaube nicht, daß das hohe Haus der Ansicht ist, daß
etwaige Nachfolger dieser Versammlung in dieser Beziehung schwächlicher
ausfallen werden; im Gegenteil, man könnte vielleicht die Befürchtung
haben, daß die Kraft, die verneint, mit den kommenden Wahlen noch wächst.
Aber, meine Herren, die verbündeten Regierungen haben gegenüber dem
Weg, den ich mir gestattet habe anzudeuten, und den sie — ich kann wohl
sagen, einstimmig — für den richtigen halten würden, sich doch der Ueber-
zeugung nicht verschließen können, daß zur Zeit ein derartiges dauerndes
Finanzreformgesetz von dem hohen Hause nicht zu erreichen sein wird, sie
haben sich deshalb darauf beschränkt, Ihnen diesen Jährling zu präsentieren,
der hier vorliegt. Meine Herren, der Gesetzentwurf ist aus der Ueberzeu-
gung der verbündeten Regierungen hervorgegangen, daß die Bundesstaaten,
welche jetzt aus Reichssteuern erhebliche Mehrüberweisungen für ihre Landes-
zwecke erhalten, während das Reich sich fortgesetzt für Anlagen verschulden
muß, die keine Zinsen in Aussicht stellen und mit mathematischer Sicherheit
periodisch wiederkehren, — die Ueberweisungspolitik in ihrem bisherigen
Umfange nicht länger aufrecht erhalten können. Man könnte den Einwand
erheben: Reichsschulden sind Landesschulden und könnten, wie ich einmal
hier im Plenum des Reichstages ausgeführt habe, nach dem Matrikular-
beitragsfuß jeden Augenblick auf die Einzelstaaten verteilt werden, folglich
ist es ganz gleichgültig, ob das Reich Schulden eingeht, oder ob man den
Einzelstaaten, während sich das Reich fortgesetzt verschuldet, Mehrüberwei-
sungen zahlt, und die Einzelstaaten hiermit ihre Landesschulden tilgen.
Diese Theorie würde aber doch das selbständige Leben des Reiches als eines
besonderen Staatsgebildes nicht genügend berücksichtigen und dasselbe eigent-
lich deklassieren zu einer Art Krebditanstalt für die Einzelstaaten. That-
sächlich haben die verbündeten Regierungen bereits bei dem zweiten Finanz-
reformgesetze auf Mehrüberweisungen verzichtet; aber, wie ich ganz beson-
ders stark unterstreichen möchte, damals nur unter der ausdrücklichen Voraus-
setzung, daß sie auch unter keinen Umständen mehr an Matrikularbeiträgen