80 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 30.—April 6.)
30. März. (Reichstag.) Gesetzentwurf, betr. Abänderung
der Gewerbeordnung.
Das Prinzip der Zwangsorganisation, welches der von der preußi-
schen Regierung eingebrachte erste Gesetzentwurf enthielt und an dem einige
Bundesstaaten Anstoß nahmen, soll in seiner ursprünglichen Strenge nicht
mehr aufrecht erhalten werden. Die Zwangsinnung wird vielmehr davon
abhängig gemacht, daß eine Mehrheit des betreffenden Handwerks von Fall
zu Fall für die Einführung derselben sich entscheidet. Die Möglichkeit
einer solchen freien Entschließung der Handwerker war auch in der preußi-
schen Reformvorlage enthalten, doch sollte damals eine Ausnahme sein, was
jetzt als Regel statuiert wird. Weggefallen ist in dem neuen Entwurf der
Handwerksausschuß, dessen Beseitigung vielfach gewünscht wurde. Die Hand-
werkskammern sind bestehen geblieben, doch sind ihre Befugnisse nicht un-
beträchtlich erweitert worden. Abg. Hitze (Z.) bedauert, daß der Bundes-
rat den Befähigungsnachweis nicht acceptiert habe, sieht aber trotzdem
einen Fortschritt in der Vorlage, namentlich in den Bestimmungen über
die Ausbildung der Lehrlinge. Auch die Vorschriften über die Handwerker-
kammern seien genügend. Aehnlich spricht sich Abg. Jakobskötter (kons.)
aus, der namentlich noch die Einführung der Zwangsinnung gewünscht hätte.
Abg. Bassermann (nl.) gegen die Zwangsinnung und für die Vorlage.
Abg. Grillenberger (Soz.) gegen die Vorlage, die den stärkeren Teil
schütze, den schwächeren brüskiere. — Am 1. April wird der Entwurf an
eine Kommission verwiesen.
31. März. Das Preuß. Abgeordnetenhaus genehmigt
die Vorlage über die Neuregelung der Richtergehälter.
Hiernach werden die Gehälter der Senatspräsidenten der Oberlandes-
gerichte, der Landgerichtspräsidenten, der Oberlandgerichtsräte und Land-
gerichtsdirektoren nach Dienstaltersstufen eingeteilt. Das Dienstalter be-
1 in jeder Gehaltsklasse mit dem Tage der ersten etatsmäßigen An-
tellung.
2. April. Der Reichstag genehmigt einen Antrag Lieber-
mann v. Sonnenberg auf Wiedereinführung der konfessionellen
Eidesformel.
3. April. Der Reichstag genehmigt in dritter Beratung
einen Antrag Hompesch (3.) auf Aufhebung des Jesuitengesetzes
gegen die Stimmen der Deutschkonservativen, der Reichspartei, der
Nationalliberalen und der Abgg. Richter, Pachnicke und Lessing.
5. April. Das Preuß. Abgeordnetenhaus genehmigt in
dritter Lesung gegen die Stimmen des Zentrums die Vorlage, betr.
Einführung der Städte= und Landgemeindeordnung in Hessen-
Nassau.
6. April. Das Preuß. Abgeordnetenhaus faßt folgenden
Beschluß über die Förderung der Fortbildungsschulen:
Die Königliche Staatsregierung aufzufordern: 1. dem gewerblichen
(einschließlich des kaufmännischen) und ländlichen Fortbildungsschulwesen.
auch insoweit ersteres mit den Fachschulen in Verbindung steht, unter voller