Bie Gesterreichisch-Auserische Monarcie. (Oktober 28.—November 2.) 199
wird die Regierung von der jeder österreichischen Regierung vorgezeichneten
Linie des Verhaltens nicht abweichen und unter Wahrung der gesetzlich
anerkannten Gleichberechtigung der landesüblichen Sprachen im Amte und
im öffentlichen Leben ihr besonderes Augenmerk auf das praktische Be-
dürfnis sowie auf die Erfordernisse einer geordneten und einheitlichen
Verwaltung richten, alles vermeidend, was die Annäherung der gegenseitigen
Anschauungen hindern, und alles unterstützend, was die Verständigung
fördern kann. Das öffentliche Leben spiegelt sich insbesondere im Staats-
haushaltsgesetze ab, dessen Beratung und Beschließung durch die Reichs-
vertretung allein eine Bürgschaft bildet, sowohl für die öffentliche Kontrole
der gesamten Verwaltung, wie für die Vorsorge für jene unabweisbar
gewordenen Bedürfnisse, welche in der letzten Zeit eine von der Bevölkerung
schmerzlich empfundene Zurückstellung erfuhren. Auch die abschließende
Behandlung des Ausgleichs mit Ungarn ist von größter Bedeutung sowohl
für die Interessen der westlichen Reichshälfte wie der Gesamtmonarchie.
Es ist dringend geboten, Zeit und Raum zu gewinnen für die wirtschaft-
lichen Probleme, Fragen, von deren baldiger glücklicher Lösung es zumeist
abhängt, dem Wirtschaftsleben die notwendigen neuen Impulse zuzuführen
und den Ausbau der öffentlichen Wohlfahrtseinrichtungen zu fördern.
Ebenso erheischen die kulturellen Bedürfnisse die Fürsorge des Staates, zu
dessen vornehmsten Pflichten die Schule betreffend gehört, die erziehliche
Thätigkeit und die sittlich-religiöse Gesinnung zu pflegen. Die Hochwasser-
schäden in mehreren Ländern fordern rasche, ausgiebige Hilfe als Pflicht
der Menschlichkeit und Gebot staatlicher Wirtschaftspflege. Die Regierung
bringt heute eine hierauf bezügliche Vorlage ein und bittet, ihr die er-
forderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Regierung wird hierbei
sowie bei Erfüllung der Verwaltungsaufgaben überhaupt darauf bedacht
sein, daß seitens der Behörden den Bedürfnissen und berechtigten Anliegen
der Bevölkerung wohlwollende Rechnung getragen werde. Sie erblickt
darin ein Mittel, das Vertrauen in die Verwaltung zu heben und dadurch
die staatliche Autorität, die von den politischen Wirren nicht unberührt
blieb, zu festigen und zu mehren.
In den folgenden Sitzungen greifen die Tschechen die Regierung
wegen Aufhebung der Sprachenverordnungen aufs heftigste an; die Deutschen
verlangen, daß die Regierung auf den Gebrauch des § 14 verzichte.
28. Oktober. (Wien.) Der Reichsrat nimmt die Delegations-
wahlen vor. Allein die Deutsch-Nationalen suchen sie zu verhindern.
Ende Oktober. Anf. November. (Böhmen und Mähren.)
Unruhen und Demonstrationen.
Die Aufhebung der Sprachenverordnungen ruft unter den Tschechen
und Mähren große Entrüstung hervor. In Prag, Laun, Jungbunzlau,
Holleschau und anderen Städten finden Aufläufe statt, es werden jüdische
Geschäfte geplündert. Es muß Militär einschreiten. — Gleichzeitig ver-
suchen in den Kontrollversammlungen die tschechischen Reservisten sich anstatt
mit „Hier“ mit dem tschechischen „Zde“ zu melden. Es werden viele
verhaftet und mit längeren Gefängnisstrafen belegt (vgl. 1. April). Auch
die Slovenen verlangen sich slovenisch zu melden.
2. November. Der König von Serbien weilt in Wien, ohne
vom Kaiser empfangen zu werden. In der Presse wird von einer
Verstimmung gegen die serbische Regierung wegen der Vorgänge
beim Hochverratsprozeß gesprochen.