Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechzehnter Jahrgang. 1900. (41)

Ves Veuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 25. — Dez. 1.) 159 
und das wird auch, glaube ich, bei den Mitgliedern des hohen Hauses den 
Eindruck hervorrufen, daß die Art und Weise, wie dieser Vorfall in die 
Oeffentlichkeit gebracht worden ist, weniger inspiriert ist von einem löblichen 
Eifer für das öffentliche Wohl, als von gewissen Tendenzen gegen bestimmte 
Persönlichkeiten (Lebhafte Zustimmung rechts) oder auch vielleicht gegen eine 
wirtschaftliche Richtung. (Große, andauernde Unruhe.) Intriguen beuge 
ich mich nicht, und vor unlauteren Machenschaften weiche ich nicht zurück. 
(Lebhafter Beifall rechts und im Zentrum.) Ich hoffe die Mehrheit des 
Hauses auf meiner Seite zu haben, wenn ich erkläre, daß ich allen 
Treibereien und Machenschaften keinen Einfluß einräumen werde auf mein 
amtliches Verhalten. (Lebhafte Zustimmung.) Im übrigen können Sie 
versichert sein, daß ich mich hüten werde, den Herren auf jener Seite 
m % zuführen zu lassen. (Lebhafter Beifall rechts und im 
entrum. 
In der Debatte verlangt Abg. Munckel (frs. Vp.) Vorkehrungen 
gegen die Wiederholung solcher ungesetzlicher Vorkommnisse; die Redner der 
nationalliberalen, der konservativen Partei und des Zentrums stimmen dem 
Reichskanzler zu. 
25. November. (Halle a. S.) Professor der Theologie Bey- 
schlag, Führer des evangelischen Bundes, 78 Jahre alt, t. 
Ende November. (Leipzig.) Die Setzer der sozialdemokra- 
tischen „Leipziger Volkszeitung“ streiken. Die Reichstagsfraktion 
sucht zu vermitteln; der Vorfall wird in bürgerlichen Blättern 
höhnisch behandelt. 
28. November. Der Botschafter in Paris, Fürst Münster 
v. Derneburg, tritt wegen hohen Alters zurück. Sein Nachfolger 
wird der Botschafter in Petersburg, Fürst Radolin. 
Ende November. (Reichstag.) Die antisemitischen Ab- 
geordneten konstituieren sich nach der Spaltung der deutsch-sozialen 
Reformpartei (S. 121) als „Freie wirtschaftliche Gruppe“. 
1. Dezember. (Preußen.) Der „Reichs= und Staats-An- 
zeiger“ veröffentlicht folgenden kgl. Erlaß an den Kultusminister 
über die Reform der höheren Schulen: 
Bezüglich der Berechtigungen ist davon auszugehen, daß das Gym- 
nasium, das Realgymnasium und die Oberrealschule in der Erziehung zur 
allgemeinen Geistesbildung als gleichwertig anzusehen sind und nur inso- 
fern eine Ergänzung erforderlich bleibt, als es für manche Studien und 
Berufszweige besonderer Vorkenntnisse bedarf, deren Vermittlung nicht oder 
doch nicht in demselben Umfange zu den Aufgaben jeder Anstalt gehört. 
Dementsprechend ist auf die Ausdehnung der Berechtigungen der realistischen 
Anstalten Bedacht zu nehmen. Damit ist zugleich der beste Weg gewiesen, 
das Ansehen und den Besuch dieser Anstalten zu fördern und so auf eine 
größere Verallgemeinerung des realistischen Wissens hinzuwirken. Durch die 
grundsätzliche Anerkennung der Gleichwertigkeit der drei höheren Lehranstalten 
wird die Möglichkeit geboten, die Eigenart einer jeden kräftig zu betonen. 
Mit Rücksicht hierauf wolle der Kaiser nichts dagegen erinnern, daß der 
Lehrplan der Gymnasien und Realgymnasien im Lateinischen eine ent- 
sprechende Verstärkung erfährt. Besonderen Wert legt er darauf, daß bei 
 
	        
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