160 Jas Veutsche Reich und seine einzelnen GElieder. (Dezember 1.)
der großen Bedeutung, welche die Kenntnis des Englischen gewonnen habe,
diese Sprache in den Gymnasien eingehender berücksichtigt werde. Deshalb
sei überall neben der griechischen Sprache ein englischer Ersatzunterricht bis
zur Untersekunda zu gestatten. Außerdem sei in den obersten drei Klassen
der Gymnasien, wo die örtlichen Verhältnisse dafür sprechen, Englisch an
Stelle des Französischen unter Beibehaltung des letzteren als fakultativen
Unterrichtsgegenstandes obligatorisch zu machen. Auch erscheine es dem
Kaiser angezeigt, daß im Lehrplan der Oberrealschulen, welcher nach der
Stundenzahl noch Raum dazu biete, die Erdkunde ausgiebigere Pflege finde.
Im Unterrichtsbetriebe seien seit 1892 auf verschiedenen Gebieten unver-
kennbare Fortschritte gemacht worden. Es müsse aber mehr geschehen.
Namentlich werden die Direktoren, eingedenk der Mahnung „Multum, non
multa“ in verstärktem Maße darauf zu achten haben, dbah nicht für alle
Unterrichtsfächer gleich hohe Arbeitsforderungen gestellt werden, sondern die
wichtigsten unter ihnen nach der Eigenart der verschiedenen Anstalten in
den Vordergrund gerückt und vertieft werden. Für den griechischen Unter-
richt sei entscheidendes Gewicht auf Beseitigung unnützer Formalien zu legen
und vornehmlich im Auge zu behalten, daß neben der ästhetischen Auf-
fassung auch der Zusammenhang zwischen der antiken Welt und der
modernen Kultur zu seinem Rechte komme. Bei neueren Sprachen sei mit
besonderem Nachdruck Gewandtheit im Sprechen und sicheres Verständnis
der gangbaren Schriftsteller anzustreben. Im Geschichtsunterricht machen
sich noch immer zwei Lücken fühlbar: Vernachlässigung wichtiger Abschnitte
der alten Geschichte und zu wenig eingehende Behandlung der deutschen
Geschichte des 19. Jahrhunderts mit ihren erhebenden Erinnerungen und
großen Errungenschaften für das Vaterland. Für die Erdkunde bleibt so-
wohl auf den Gymnasien wie auf den Realgymnasien zu wünschen, daß
der Unterricht von Fachlehrern gelehrt wird. Im naturwissenschaftlichen
Unterricht haben Anschauung und Experiment einen größeren Raum ein-
zunehmen und häufige Exkursionen den Unterricht zu beleben; bei der Phyfik
und der Chemie sei die angewandte technische Seite nicht zu vernachlässigen.
Für den Zeichenunterricht, bei welchem übrigens auch die Befähigung, das
Angeschaute in rascher Skizze darzustellen, Berücksichtigung verdient, ist bei
Gymnasien dahin zu wirken, daß namentlich Schüler, welche sich der Technik,
den Naturwissenschaften, der Mathematik oder der Medizin zu widmen ge-
denken, vom fakultativen Zeichenunterricht fleißig Gebrauch machen. Außer
den körperlichen Uebungen, die in ausgiebiger Weise zu betreiben sind, hat
auch die Anordnung des Stundenplanes mehr der Gesundheit Rechnung zu
tragen, insbesondere durch angemessene Lage und wesentliche Verstärkung
der bisher zu kurz bemessenen Pausen. Da die Abschlußprüfung den bei
ihrer Einführung gehegten Erwartungen nicht entsprochen und namentlich
einem übermäßigen Andrange zum Universitätsstudium eher Vorschub ge-
leistet hat, als Einhalt thut, ist dieselbe baldigst zu beseitigen. Die Ein-
richtung von Schulen nach den Altonaer und Frankfurter Lehrplänen hat
sich für die Orte, wo sie bisher besteht, nach den bisherigen Erfahrungen
im ganzen bewährt. Durch die Realschulen mit umfassendem gemeinsamen
Unterbau bietet sie zugleich einen nicht zu unterschätzenden sozialen Vorteil.
Er wünsche daher, daß der Versuch nicht nur in zweckentsprechender Weise
fortgeführt, sondern auch, wo die Voraussetzungen zutreffen, auf breiterer
Grundlage erprobt werde. Er gebe sich der Hoffnung hin, daß die hienach
zu treffenden Maßnahmen, für deren Durchführung er auf die allzeit er-
probte Pflichttreue und verständnisvolle Hingebung der Lehrerschaft rechne,
unseren höheren Schulen zum Segen gereichen und dazu beitragen werden,
die Gegensätze zwischen den Vertretern der humanistischen und der realisti-