Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechzehnter Jahrgang. 1900. (41)

NV# e#che Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10./13.) 163 
Verwaltung. Die Weltpolitik billige er, aber neue Kolonien solle man 
nicht erwerben. Die Sozialpolitik müsse maßvoll fortgeführt werden, vor 
allem dürfe die Landwirtschaft nicht hinter der Industrie zurückgesetzt werden. 
Der Nichtempfang Krügers sei bedauerlich. 
Reichskanzler Graf v. Bülow: Auf alle von dem Herrn Abgeord- 
neten Grafen Limburg-Stirum soeben aufgeworfenen, besprochenen und an- 
geregten Fragen werde ich heute nicht mehr eingehen, wie schmeichelhaft 
mir auch das Interesse ist, das der geehrte Herr Abgeordnete an meinem 
politischen, wirtschaftlichen und sozialpolitischen Seelenzustande nimmt. 
(Heiterkeit.) Aber diese Fragen zu beantworten, würde auch nicht ganz 
leicht sein und ich muß gestehen, daß mir bei einigen dieser Fragen zu 
Mute war etwa wie Faust, als Gretchen ihn fragte, was hältst du eigenl- 
lich von der Religion? (Heiterkeit.) Ich bin aber dem Abg. Sattler und 
vor allem dem Herrn Vorredner dankbar, daß sie mir Gelegenheit boten, 
mich auszusprechen über die Reise des Präfidenten Krüger, sowie über 
unsere Haltung gegenüber dem südafrikanischen Kriege, und ich bitte um 
die Erlaubnis, im Interesse der Klarstellung auf diese das deutsche Volk 
tiefbewegende Frage etwas weiter eingehen zu dürfen. Daß es zwischen 
den südafrikanischen Republiken und England zum Kriege gekommen ist, 
haben wir aufrichtig beklagt. Wir beklagen es, daß ein solcher Krieg mög- 
lich war zwischen Christen, zwischen Weißen, zwischen Angehörigen derselben 
Rasse. Es mußte uns aber auch eine Mahnung sein und ist uns eine 
Mahnung gewesen, die Augen offen zu halten, uns nicht Sand in die 
Augen streuen zu lassen, sondern festzuhalten an der alten Wahrheit und 
Erfahrung, daß in der eigenen Kraft die einzige, sichere Bürgschaft ruht 
für den Frieden und die Behauptung der eigenen Rechte zu Lande und zu 
Wasser. (Zustimmung.) Wir beklagten den Ausbruch dieses Krieges auch 
deshalb, weil gewichtige deutsche wirtschaftliche und politische Interessen 
in Südafrika in Frage gestellt wurden. Viele Deutsche sind in Südafrika 
angesessen; Deutsche haben dort große Fabriken, industrielle und Bank- 
etablissements; das in Südafrika investierte deutsche Kapital beziffert sich 
auf Hunderte von Millionen; der Handelsverkehr zwischen Deutschland und 
der südafrikanischen Küste ist sehr lebhaft. Wir sind wirtschaftlich in 
hohem Grade an der Zukunft von Südafrika interessiert, und politisch 
hatten wir die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß dieser Krieg nicht 
schädliche Wirkungen ausübe auf unseren südafrikanischen Besitzstand. 
Darum haben wir gethan, was für uns als neutrale Macht und ohne Ge- 
fährdung direkter deutscher Interessen möglich war, um den Ausbruch dieses 
Krieges zu verhüten. Wir haben insbesondere gegenüber den Regierungen 
der beiden südafrikanischen Republiken auch insofern loyal gehandelt, als 
wir denselben von vornherein unzweideutig keinen Zweifel gelassen haben 
hinsichtlich der Behandlung der Dinge in Europa und hinsichtlich unserer 
eigenen Neutralität im Falle eines Krieges in Südafrika und als wir in 
diesen Beziehungen den Regierungen der südafrikanischen Republiken recht- 
zeitig reinen Wein eingeschenkt haben. (Abg. Rickert: Hört, hört!) Ich 
habe hier vor mir eine Aufzeichnung, welche unsere Haltung vor Ausbruch 
des südafrikanischen Krieges beleuchtet. Im Mai und Juni des Jahres 
1899 haben wir im Verein mit der niederländischen Regierung dem Prä- 
fidenten Krüger zur Mäßigung geraten. Ich beziehe mich auf das kürzlich 
veröffentlichte niederländische Gelbbuch und die gewechselten Depeschen. Der 
Reichskanzler verliest die Depesche, durch welche die niederländische Regierung 
ihren Generalkonsul in Pretoria beauftragt, dem Präsidenten Krüger ohne 
Verzug mündlich und vertraulich mitzuteilen, welches Interesse die süd- 
afrikanischen Republiken daran haben, sich so verbindlich und mäßig wie 
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