Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechzehnter Jahrgang. 1900. (41)

168 NBas Peutsche Reich und seine einjelnen Glieder. (Dezember 10./13.) 
standenen Interesse, aus der Gesamtlage der europäischen Verhältnisse, aus 
dem speziellen deutschen Interesse. Das Samoa= und das angtse-Ueber- 
einkommen, über welches der Abg. Hasse so abfällig urteilt, enthält keinre 
geheimen Bestimmungen, keine Klausel, enthält gar nichts, was das bohe 
8 nicht wüßte, was die ganze Welt nicht wüßte. Nun hat der Abg. 
asse — und ich glaube auch gestern der Abg. Bebel — erwährt das 
Telegramm, welches Se. Majestät der Kaiser im Frühjahr 1896 an den 
Präsidenten Krüger gerichtet hat. Damals hat es sich nicht um einen regu- 
lären Krieg zwischen Staaten gehandelt, sondern um ein Flibustier-Unter- 
nehmen. Ich denke gar nicht daran, dieses Telegramm zu verleugnen, durch 
welches Se. Majestät seiner Sympathie für das völkerrechtlich Korrekte Aus- 
druck gegeben hat. Aber ebensowenig haben wir beabsichtigt, durch jenes 
Telegramm unsere Politik für immer in omnes casus et eventus, in om- 
nia saecula festzulegen. Das konnten wir umsoweniger, als sich die Ver- 
hältnisse seitdem geändert haben. Ich begehe keine politische Indiskretion, 
wenn ich sage, daß dieses Telegramm jedenfalls das Verdienst gehabt hat, 
durch die Aufnahme, die es fand — nicht in Deutschland, sondern außer- 
halb Deutschlands — die Situation für uns insofern aufzuklären, als diese 
Aufnahme gar keinen Zweifel darüber ließ, daß wir im Falle eines Kon- 
flikts mit England in Afrika auf unsere eigene Kraft und einzig und allein 
auf unsere eigenen Kräfte angewiesen waren. (Hört! hört!) Daraus mußte 
eine gewissenhafte Regierung ihre Schlüsse ziehen, und daraus haben wir 
unsere Schlüsse gezogen. Die Ausführungen des Abg. Hasse kamen im 
großen und ganzen darauf hinaus, daß er uns den Vorwurf machte, wir 
hätten die Buren preisgegeben. Diesen Ausdruck habe ich in einer Reihe 
ihm nahestehender Blätter gefunden. Von einer Preisgebung der Buren 
kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil wir ja nie ein Protektorat 
über die südafrikanischen Republiken ausgeübt oder auch nur angestrebt 
haben. Es kann von einem solchen Preisgeben aber vor allem schon des- 
halb nicht die Rede sein, weil wir nur deutsche Interessen in der Welt zu 
wahren haben. Transvaal und die südafrikanischen Republiken können nicht 
zum Angelpunkt, können nicht zum Drehpunkt unserer ganzen Politik werden. 
Das Hemd liegt näher als der Rock, und jedenfalls liegt es mir näher, der 
ich deutscher Minister des Auswärtigen bin und nicht Minister in und für 
Pretoria. Wenn aber der Abg. Hasse unter Berufung auf Adressen und 
Volksversammlungen gesagt hat, daß die öffentliche Meinung für ihn ginge 
und daß sie ginge gegen mich, so macht mich auch das nicht im mindesten 
irre. Nicht als ob ich die Macht und die Bedeutung der öffentlichen Mei- 
nung nicht sehr wohl kennte. Die öffentliche Meinung ist der starke Strom, 
der die Räder der staatlichen, der politischen Mühle treiben soll. Wenn 
aber dieser Strom Gefahr droht, die Räder in falscher Richtung zu treiben 
oder gar zu zerstören, so ist es die Pflicht einer Regierung, die diesen Namen 
verdient, sich dem öffentlichen Strom entgegenzustemmen, völlig unbekümmert 
um etwaige Unpopularität. Es gibt noch höhere Kränze als diejenigen, die 
der Alldeutsche Verband gewährt (Lebhafte Zustimmung), nämlich das Be- 
wußtsein, sich lediglich und ausschließlich leiten zu lassen von den wirklichen 
und dauernden Interessen. (Erneuter Beifall.) Die deutsche öffentliche Mei- 
nung hat auch gerade in der Frage der öffentlichen Politik — ich scheue 
mich nicht, das offen zu sagen — durchaus nicht immer das Richtige ge- 
troffen. Sich für die Interessen fremder Völker einzusetzen und zu erhitzen, 
wie das jetzt in einem großen Teile von Deutschland geschieht, uns einzu- 
setzen und zu erhitzen unter Vernachlässigung und unter Preisgebung deut- 
scher Interessen, das ist ein menschlich schöner Zug des deutschen Volkes, 
politisch jedoch ein Fehler, der sich in der Vergangenheit oft genug an uns
	        
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