Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechzehnter Jahrgang. 1900. (41)

Das Veische Peich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 16.) 169 
gerächt hat. Es macht dem guten Herzen des Abg. Hasse Ehre, wenn er 
die Aufgabe unserer Politik vor allem darin fieht, fremde Völker zu retten. 
Das ist aber nur im Privatleben sehr schön, im internationalen Verkehr 
kommt man nicht weiter damit. Fremde VBölker retten zu wollen, hat nicht 
immer Glück gebracht. Dafür bietet die Geschichte lehrreiche Beispiele; 
blicken wir doch in unsere eigene deutsche Geschichte. Als Fürst Bismarck 
in den sechziger Jahren nicht für die Polen in Rußland eintreten wollte, 
da hieß es, er habe sich erniedrigt zum Schergen russischer Hängegendarmen 
und als derselbe große Staatsmann 20 oder 22 Jahre später — ich war 
damals schon in der auswärtigen Karriere, ich erinnere mich deshalb sehr 
wohl — sich nicht brouillieren wollte und uns nicht brouillieren wollte mit 
Rußland wegen der schönen Augen der Bulgaren und wegen der schönen 
Augen des Fürsten Battenberg, da wurden dieselben Vorwürfe laut. Da- 
mals ging die deutsche öffentliche Meinung gegen ihn, in den 60er Jahren 
für die Polen und in den 80er für die Bulgaren. Damals waren die da- 
maligen Helden der polnischen Insurrektion, war der Fürst Alexander 
Battenberg gerade so populär, wie es heute der Präsident Krüger ist. Es 
wird aber niemand in Zweifel sein, daß Fürst Bismarck in beiden Fällen 
das Richtige getroffen hat, und daß es ein großer, gar nicht gut zu machen- 
der Fehler gewesen wäre, wenn er unsere Politik anders instradiert, wenn 
er anders manövriert hätte. Wir haben niemals durch Preisgebung deut- 
scher Interessen fremde Zustimmung erkauft, aber für fremde Interessen 
dürfen deutsche Interessen nicht preisgegeben werden. Ich habe in den letzten 
Tagen immer wieder gehört und immer wieder gelesen, daß das Recht auf 
Seiten der Buren stünde. Ich scheue mich nicht, hier ganz offen zu sagen, 
daß das für uns nicht das Entscheidende sein kann. Wir können — das 
sage ich nicht nur für dieses hohe Haus, sondern ich sage es auch für das 
deutsche Volk, dessen Rechtssinn ein so ausgebildeter ist — wir können bei 
Streitigkeiten zwischen fremden Völkern nicht fragen, wo das Recht liegt 
und wo das Unrecht. Der Politiker ist kein Richter. Er hat lediglich die 
Interessen und Rechte seines eigenen Landes zu wahren. Vom Standpunkt 
der reinen Moralphilosophie aus kann ich unmöglich auswärtige Politik 
treiben — das hat auch Fürst Bismarck nicht gethan — und vom Stand- 
punkt einer Bierbankpolitik auch nicht. (Lebhafte Zustimmung.) Als ich 
am vorigen Montag an die politische Vernunft dieses hohen Hauses appel- 
lierte, — die politische Vernunft dieses hohen Hauses, an die man sich ja 
nicht umsonst wendet — da befand sich am vergangenen Montag der Abg. 
Hasse im Haag. Ich denke nicht daran, ihm einen Vorwurf daraus zu 
machen. Ich achte den Idealismus, der in dem Abg. Hasse steckt, das ist 
ein schönes Erbteil des deutschen Bolkes und ich will ihn auch erhalten. 
Aber die Kreise unserer auswärtigen Politik darf dieser Idealismus nicht 
stören, die Zukunft, die Sicherheit des deutschen Volkes darf er nicht ge- 
fährden, und so lange ich an dieser Stelle stehe, werde ich diese Sicherheit, 
werde ich das Interesse des deutschen Volkes, werde ich die Zukunft des 
deutschen Volkes, gegen wen es auch sei, in Schutz nehmen, wie das meine 
verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist. (Lebhafter Beifall.) 
Am 13. Dezember wird der Etat der Budgetkommission überwiesen. 
16. Dezember. (Berlin.) Eine Anzahl aus China zurück- 
gekehrter Soldaten hält einen feierlichen Einzug in Berlin. Der 
Kaiser richtet folgende Ansprache an sie: 
Als Ich euch von hinnen ziehen ließ, konnte man noch nicht über- 
blicken, wie sich die Verhältnisse entwickeln würden, aber Ich wußte, daß
	        
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