180 Jie Gesterreichisch-Angerische Menerie. (April Anf.—25.)
Anfang April. (Böhmen.) Bildung der „Tschechischen
Volkspartei“".
In dem Programm der neuen Partei, die unter Führung des Prof.
Masaryk steht, heißt es, daß diese eine Verständigung mit den Deutschen
auf Grund völliger Gleichberechtigung beider Nationalitäten anstrebt, sich
für die Abgrenzung der nationalen Bezirke ausspricht und hierin nicht eine
Zerreißung Böhmens erblickt, schließlich die Einführung des obligatorischen
Unterrichts der deutschen Sprache an den tschechischen Mittelschulen verlangt.
18. April. (Wien.) Fortschritte der Bewegung „Los von
Rom“.
Schoͤnerers „Unverfälschte Deutsche Worte“ veröffentlichen den Aus-
weis der Uebertritte aus der römischen Kirche und stellen fest, daß zehn-
tausend Uebertritte mit März dieses Jahres vollendet waren. Die größte
Zahl hatte Böhmen 5519, Niederösterreich 2134, Steiermark 1398. Bemerkt
wird dabei, daß nur persönliche Anmeldungen bei Schönerer gezählt find,
daß diese aber weitaus nicht die Mehrzahl bilden.
23.26. April. (Böhmen.) Beratung des Antrags Pacak
über die Staatssprache in Böhmen.
Im Landtage beantragt Abg. Pacak (Tsch.) die Durchführung des
gleichen Rechts der tschechischen Sprache bei den Gerichts= und Staatsbe-
hörden in Böhmen. Pacak hält den böhmischen Landtag in erster Linie
für kompetent in dieser Frage. Die Deutschen müssen endlich ihre Superio-
ritätsgelüste aufgeben. Für die Forderung der Abgrenzung des Landes in
ein deutsches und ein tschechisches Sprachgebiet wird kein Tscheche stimmen.
Wenn die Gerichtsbeamten tschechisch können, ist die ganze Frage sofort
gelöm. Ein Ausweg wäre ein fünfzehnjähriges Provisorium, welches mög-
ich ist, aber die Dolmetscher nehmen wir nie an. Abg. Funke betrachtet
den Antrag Pacak als inkonstitutionell. Nur der Neichate sei kompetent.
Ein Provisorium, wie es Pacak im Sinn habe, sei unannehmbar. Die
Deutschen ließen sich durch Nichts einschüchtern, sie würden gegen den An-
trag aus formellen und sachlichen Gründen stimmen.
Am 26. April greift Abg. Herold (Tsch.) die deutschen Abgeord-
neten heftig an und erklärt, die Tschechen hätten die Verständigungskon-
ferenz nur beschickt, um der Regierung Gelegenheit zu geben, ihnen für die
Aufhebung der Sprachenverordnungen Satisfaktion zu geben. Wenn ihnen
eine solche nicht bis zum 5. Mai gegeben werde, so würden sie sich diese
selbst nehmen in einer Weise, die weder den Deutschen noch der Regierung
genehm sein werde. (Lebhafter Beifall, auch auf den Galerien.) Der Oberst-
landmarschall droht mit der Räumung der Galerien. Abg. Wolf über-
schreit den noch immer anhaltenden Beifall der Jungtschechen mit dem Rufe:
„Der Antrag Pacak ist eine Komödie! Das ist eine Komödiantenpolitik!“
Der Oberstlandmarschall erklärt, er schreite zum Schlusse der Sitzung. Abg.
Wolf verlangt die Räumung der Galerien. Es entsteht ein ohrenbetäu-
bender Lärm. Der Oberstlandmarschall entgegnet, die Galerien hätten seiner
Mahnung Folge geleistet; er habe somit keinen Anlaß zu einem weiteren
Einschreiten. Abg. Wolf besteht unter heftigen Ausfällen gegen die Tsche-
chen auf der Räumung der Galerien. Der Oberstlandmarschall schließt
hierauf unter anhaltendem Lärm die Sitzung.
25. April. (Galizien.) Landtagsbeschluß über die aus-
wandernden Arbeiter.