Vie Gesterreichisc-Augarische Menarchie. (September 14.) 189
füllung umsomehr geboten ist, als die Bedürfnisse des Staates, Länder und
Gemeinden sich fortgesetzt steigern, müssen zurückstehen vor der einzigen,
durchaus nicht den ganzen Staat berührenden Frage, der Regelung der
Amtssprache in einzelnen Reichsgebieten. Die großen Erfolge der Welt-
industrie und des Welthandels fielen anderen Reichen zu. Oesterreich und
seine Völker konnten nur jenen geringfügigen Anteil erzielen, den der Unter-
nehmungsgeist und der lobenswerte Mut Einzelner gewonnen, denen noch
dazu ganz besonders günstige Umstände zustatten kommen mußten. Sonst
aber waren alle Kräfte lahmgelegt, weil die Gesetzgebung für sie nicht vor-
sorgt und die Verwaltung die erforderlichen Mittel nicht bereitstellen kann.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bauern, Handwerker und Arbeiter
leiden unter dieser unverantwortlichen Vernachlässigung am allermeisten.
Das ist kein haltbarer Zustand. Dabei müssen die Staatsbeamten ihre In-
teressen, deren Hintansetzung sie schon bisher schwer genug empfanden, so
gut wie gänzlich preisgegeben sehen. Das aufrichtige Bestreben der Re-
gierung und ihr wohlwollendes Entgegenkommen, die traurigen Verhältnisse
der letzten Zeit in Vergessenheit zu bringen, sind erfolglos geblieben. Ihre
konsequent dargethane politische Unparteilichkeit, ihre nationale Unbefangen-
heit, sowie die nachhaltigsten Bemühungen vermochten nicht, die Wieder-
aufnahme der der Volksvertretung durch das Staatsgrundgesetz zugewiesenen
legislativen Arbeit zu erreichen. Die Auflösung des Abgeordnetenhauses
wurde zur gebieterischen Notwendigkeit. Die Regierung legt den Wähler-
schaften nahe, bei den unverzüglich erfolgenden Neuwahlen ihre wirtschaft-
lichen Interessen entschlossen wahrzunehmen, sie werden damit die Erstarkung
des Staates fördern und dessen Fähigkeit erhöhen, die Bevölkerung auf dem
Wege allseitiger Entwicklung wirkungsvoll zu unterstützen. Die Regierung
hat mit der Auflösung des Abgeordnetenhauses, das keine positive Arbeit
leistete, dem konstitutionellen Grundsatz Rechnung getragen. Je ernster die
Verhältnisse, desto dringender gestaltet sich die Pflicht der Wählerschaften,
sich die Bedeutung ihres Votums in dem Augenblicke gegenwärtig zu halten,
wo die neu zu wählende Volksvertretung die für ihre künftige Wirksamkeit
entscheidende Gestaltung erhält. Die Wählerschaften werden entscheiden, ob
das unschätzbare Gut, welches in der Kontinuität der verfassungsmäßigen
Einrichtungen gelegen ist, dadurch um seinen ganzen Wert gebracht werden
soll, daß diese immer von neuem jede praktische Wirksamkeit versagen.
14. September. (Cisleithanien.) Eine kaiserliche Verord-
nung verfügt, daß Frauen an inländischen Universitäten Medizin
studieren und den Doktorgrad erlangen können. Ebenso werden
sie zum pharmazeutischen Beruf zugelassen.
September. Oktober. November. (Cisleithanien.) Aufrufe
der Parteien zu den Neuwahlen.
„Deutsche Volkspartei.“ Bei dem Sprachenkampfe handle es sich
nicht nur um die die einzelnen Teile des Staates berührende Regelung der
Amtssprache, sondern um die für den Bestand der Monarchie entscheidende
Frage, ob Oesterreich getreu der geschichtlichen Entwickelung des Staates
unter deutscher Führung und unter der Vorherrschaft der deutschen Sprache
als Staatssprache sein und bleiben solle, oder ob man auf dem Umwege
der föderalistischen Experimente zur vollständigen wirtschaftlichen Abhängig-
keit von Ungarn, zur klerikal feudalen Herrschaft, zum böhmischen Staats-
recht und damit zur Zertrümmerung des Reiches gelangen solle. Das deutsche
Volk müsse bei den bevorstehenden Wahlen beweisen, daß es derartige Be-