Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechzehnter Jahrgang. 1900. (41)

274 Kutlan. (September 1.) 
Auf dem Kriegsschauplatz in Petschili haben in der letzten Zeit die 
militärischen Begebenheiten eine so unerwartet rasche Wendung genommen, 
daß es einer verhältnismäßig unbedeutenden Truppenabteilung der Ver- 
bündeten, deren Aufgabe darin bestand, die belagerten auswärtigen Gesandt- 
schaften und die Ausländer zu befreien, gelungen war, nicht nur diesen 
Hauptzweck zu erreichen, sondern auch die in der Hauptstadt des himm- 
lischen Reiches konzentrierten Rebellenbanden auseinanderzutreiben und 
Maßregeln zur Sicherstellung der Verbindung mit Peking zu ergreifen. 
Diese günstigen Umstände verändern jedoch keinesfalls das früher vorge- 
zeichnete Programm Rußlands, dessen Grundprinzipien in der letzten Re- 
gierungsmitteilung enthalten sind. Rußland hat, wie in der Mitteilung 
gesagt, China den Krieg nicht erklärt; die russischen Truppen betraten das 
Territorium seines Nachbarstaates mit bestimmten Zwecken, deren größter 
Teil gegenwärtig erreicht ist. Um für die Zukunft keinen Anlaß zu irgend- 
welchen Mißverständnissen oder unrichtigen Deutungen bezüglich der weiteren 
Absichten Rußlands zu geben, geruhte der Kaiser dem Verweser des Mini- 
steriums des Auswärtigen zu befehlen, an die im Auslande akkreditierten 
russischen Vertreter folgendes Zirkulartelegramm zu richten: Zirkular- 
telegramm des Verwesers des Ministeriums des Auswärtigen vom 25. August. 
Die nächsten Ziele, welche die kaiserliche Regierung gleich vom Anfang der 
chinesischen Wirren bezweckte, bestanden in folgendem: 1. Beschützen der 
russischen Gesandtschaft in Peking, Sicherstellung der russischen Unterthanen 
vor den verbrecherischen Absichten der chinesischen Rebellen. 2. Erweisung 
von Hilfe der chinesischen Regierung in ihrem Kampfe gegen die Wirren 
im Interesse der baldigsten Herstellung der gesetzlichen Ordnung der Dinge 
im Reiche. Als infolge dessen alle interessierten Mächte beschlossen, mit 
den gleichen Zielen Truppen nach China zu senden, da hatte die kaiserliche 
Regierung als Richtschnur bezüglich der chinesischen Begebenheiten folgende 
Grundprinzipien vorgeschlagen: 1. Aufrechterhaltung des gemeinsamen Ein- 
vernehmens der Mächte, 2. Aufrechterhaltung der früheren (1) Staatsord- 
nung in China, 3. Beseitigung von allem, was zu einer Aufteilung des 
himmlischen Reiches führen könnte, 4. mit gemeinsamen Kräften Herstellung 
einer gesetzlichen Zentralregierung in Peking, welche im stande ist, allein 
die Ordnung und die Ruhe zu bewahren. In diesen Punkten bestand fast 
zwischen allen Mächten ein Einvernehmen. Da die kaiserliche Regierung 
keine anderen Zwecke verfolgt, wird sie auch weiter standhaft ihrem früheren 
Aktionsprogramme treu bleiben. Wenn der Gang der Ereignisse, wie der 
Angriff der Rebellen auf unsere Truppen in Niutschwang, und eine Reihe 
feindseliger Handlungen der Chinesen an der Grenze unseres Staates, wie 
z. B. die Beschießung von Blagowjestschensk Rußland zur Einnahme von 
Niutschwang und zum Einrücken russischer Truppen in die Gebiete der 
Mandschurei veranlaßten, so können solche zeitweiligen Maßregeln, welche 
ausschließlich durch Ungesetzlichkeiten hervorgerufen wurden, um aggresfive 
Handlungen der chinesischen Rebellen abguwehren, keinesfalls von irgend 
welchen selbstsüchtigen Plänen Zeugnis geben, welche der Politik der kaiser- 
lichen Regierung vollkommen fremd sind. Sobald in der Mandschurei die 
dauernde Ordnung wieder hergestellt sein wird und auch die unumgäng- 
lichen Maßregeln zum Schutze der Eisenbahn ergriffen sein werden, deren 
Bau noch eines formellen Einvernehmens mit China bezüglich der Konzession 
bedarf, welche der Gesellschaft der chinesischen Ostbahn verliehen werden 
soll, wird auch das Nachbarreich Rußland nicht ermangeln, seine Truppen 
aus diesen Gebieten zurückzurufen, vorausgesetzt, daß die Handlungsweise 
anderer Mächte dem nicht im Wege steht. Es ist offenbar, daß die Inter- 
essen der anderen auswärtigen Mächte und internationalen Gesellschaften
	        
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