Das Veenische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 2./12.) 167
unverändert geblieben, andere sogar erniedrigt worden. Vielfach stelle man
sich jetzt gar auf den Standpunkt, als wenn Deutschland nicht das Recht
habe, seicen Zolltarif zu erhöhen. Wer auf diesem Standpunkt steht, dem
fehlt es an nationalem Stolz. (Lebhafte Zurufe links.) Eine ganze Reihe
von Staaten haben Zollpositionen so gestaltet, daß sie für unsere Produkte
gropibit“ wirken. Wer uns bestreitet, daß wir unsere Zölle erhöhen
dürfen, dem fehlt das Gefühl für die Souveränität, die das Deutsche Reich
sich bei Behandlung seiner eigenen Angelegenheiten wahren muß. (Beifall
rechts. Widerspruch links.) Setze man aber die Getreidezölle zu hoch,
dann könne es passiren, was 1898 in Frankreich geschah: daß unter Um-
ständen die Zölle suspendiert werden. Erhöhe man die jetzt vorgeschlagenen
Zollsätze für das Getreide, dann sinke dadurch der Wert der Minimalzölle.
Abg. Spahn (3.): Das Zentrum billige durchaus die agrarischen For-
derungen des Entwurfs. Grade der mittlere und kleinere Grundbesitz leide
unter der Verminderung der landwirthschaftlichen Arbeiter und der Er-
höhung der Produktionskosten. Es empfehle sich, die Mehreinnahmen aus
den Zöllen zu Wohlfahrtseinrichtungen zu verwenden. Abg. Richter (sr.
Vp.): Wir bedürfen eines Zuschusses an Lebensmitteln für die wachsende
Bevölkerung und wir müssen sie mit Ausfuhr von Fabrikaten bezahlen.
Deutschland ist an diese internationale Arbeitsteilung gebunden, nach seiner
Größe, seinem Klima und seiner Lage in Europa. Die Politik in dieser
Vorlage ist chinesische Politik, sie zielt darauf ab, unfre Verpflichtung für
die Weltwirtschaft wieder aufzulösen, den Handel nicht auszudehnen, sondern
einzuschränken. Wenn auch das Ausland mit diesem Tarif zufrieden wäre,
wir verwerfen ihn doch, weil die inländische Produktion und Konsumtion
geschädigt wird. Wissen wir denn, was aus den Handelsverträgen wird?
Es scheint eine gewisse agrarische Auffassung über den Handel vorzuwalten,
die entstanden ist aus Betrachtungen über den Kuh= und Pferdehandel.
(Heiterkeit.) Das Ausland ergreift doch jetzt keine Initiative in schutz-
zöllnerischer Richtung, warum fangen wir nun damit an? Noch niemals
sei eine Vorlage so schwach begründet worden wie diese, die dem ganzen
Volke verderblich werden müsse; Graf Bülow habe vor den Agrariern den
Kotau machen müssen und deshalb auch die preußische Kanalvorlage fallen
lassen. Die von der Regierung proklamierte Weltpolitik sei mit solchen
Tarifen unmöglich und die große Flotte demnach überflüssig. Reichskanzler
Graf Bülow: Ein Gegensatz zwischen Weltpolitik und Erhöhung der Ge-
treidezölle besteht nicht, denn die Basis einer gesunden und vernünftigen
Weltpolitik ist eben eine kräftige nationale Heimatspolitik. Eine Welt-
politik, welche die heimische Arbeit ohne Schutz lassen würde, die sich ins-
besondere nicht um die Landwirtschaft kümmern würde, wäre eine phan-
tastische, ungesunde und chimärische Politik. Für eine solche Weltpolitik
danke ich. Von einem Fallenlassen, von einem definitiven Scheitern der
Kanalvorlage ist ebenfalls nicht die Rede, weil sie eine tiefgehende Schädi-
gung herbeiführen würde, nicht nur für diese oder jene Gebietsteile, sondern
für den allgemeinen Wohlstand des ganzen Landes. Die preußische Re-
gierung ist aber fest überzeugt, daß ein Projekt, welches nicht nur einzelnen
Gewerbszweigen, sondern der gesamten Monarchie zugute kommt, mit der
Zeit realisiert werden wird.
4. Dezember. Abg. Paasche (nl.) betont die Notwendigkeit, die
landwirtschaftlichen Betriebe wieder lohnend zu machen und erhofft eine
Verständigung von den Kommissionsberatungen. Man dürfe bei der
ganzen Verhandlung nicht vergessen, daß die vorgeschlagenen Sätze nicht
die sind, welche nun demnächst in Kraft treten, sie sollen nur die Grund-
lage der Vertragsverhandlungen bilden. Die hohen Zölle sollten auch nicht