Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebzehnter Jahrgang. 1901. (42)

NMas Neuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 4.—10.) 169 
Möge Ihnen in Ihrem neuen Wirkungskreise Gottes Segen in reichstem 
Maße beschieden sein! 
4. Dezember. (Bayerischer Landtag.) Anstellung jüdischer 
Richter. 
Die Abgeordnetenkammer genehmigt mit 77 gegen 51 Stimmen 
einen Antrag Heim, wonach Israeliten in der Justizverwaltung nur im 
Verhältnis der israelitischen Bevölkerung zur Gesamtbevölkerung aufge- 
nommen werden sollen. Justizminister v. Leonrod lehnt den Antrag aus 
Gesetzesbedenken ab, will aber auf die Stimmung der Bevölkerung mög- 
lichst Rücksicht nehmen. (Vgl. S. 161, 23.) 
5. Dezember. Die sozialdemokratische Fraktion legt dem 
Reichstage eine Petition gegen die Erhöhung der Getreidezölle mit 
3431 784 Unterschriften vor. 
9. Dezember. (Bayerischer Landtag.) Im Finanzaus- 
schusse der Abgeordnetenkammer erklärt Ministerpräsident Graf 
Crailsheim, Bayern werde sein Postreservatrecht nicht aufgeben. 
10. Dezember. (Reichstag.) Interpellation über die Vor- 
gänge in Wreschen; Polendebatte. 
Abg. Fürst Radziwill (Pole) bringt folgende Interpellation ein: 
1. Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, daß die Vorgänge in Wreschen 
nicht nur bei uns, sondern auch im Auslande ein Aufsehen erregt haben, 
welches geeignet ist, dem Ansehen des Deutschen Reiches Abbruch zu thun? 
2. Welche Stellung nimmt der Herr Reichskanzler dieser Angelegenheit 
gegenüber ein? Der Interpellant führt aus, die polnische Fraktion habe 
die Pflicht, die nationale Würde derjenigen Bevölkerungskreise zu wahren, 
die sie hierher geschickt haben, die Würde, die durch die Wreschener Vor- 
gänge verletzt worden sei. Die Sache gehöre eigentlich zu der Kompetenz 
des Bundesstaates Preußen. Er bringe sie aber hier zur Erwähnung, 
weil die Bewegung weit über die Reichsgrenzen hinaus ihre Wellen ge- 
schlagen habe. Die Würde der deutschen Nation und namentlich die in 
diesem hohen Hause derselben schuldige Rücksicht würden dadurch nicht ver- 
letzt. Der Reichskanzler möge überzeugt sein, daß keinerlei agitatorische 
Gründe dazu vorliegen. Sei es für die Würde und Wohlfahrt des Reiches 
nötig, eine nationale Minderheit welche dem Reiche zugeteilt ist, in einer 
Weise zu behandeln, wie sie sie seit langer Zeit erlitt, in ihren nationalen 
Eigentümlichkeiten anzufeinden und zu beschränken mit einem ausgesprochenen 
Endziel, sie in früherer oder späterer Zeit gänzlich zu unterdrücken? Da- 
durch, daß den polnischen Kindern die Muttersprache gleichsam als minder- 
wertig hingestellt werde, bilde sich bei ihnen eine gewisse Renitenz gegen 
die Schule. Die neueste Frucht der preußischen Schulpolitik entspricht 
durchaus nicht den Traditionen der früheren preußischen Herrscher und 
deren Behandlung der polnischen Unterthanen. Das ist alles anders ge- 
worden. Nicht einmal die Heiligkeit des Hauses wird respektiert. Die Er- 
regung wird nun auch schon von den uns ferner stehenden Kreisen geteilt. 
Sollte es nicht möglich sein, daß der Reichskanzler Maßregeln anordnet, 
welche mehr auf den Frieden unter der schwer aufgeregten Bevölkerung 
hinwirken, in deren Erregung doch bei aller Leidenschaftlichkeit ein hoher 
sittlicher Kern steckt? 
Reichskanzler Graf Bülow: Der Antragsteller erkannte selbst an,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.