Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebzehnter Jahrgang. 1901. (42)

Italien. (Juni 17./22.) 247 
Regierung habe sich im Gegenteil den Anträgen entgegengestellt, welche 
hinsichtlich der italienischen Weine eben jetzt eine härtere Behandlung ver- 
langten; diese Anträge seien abgelehnt worden. Auch könne Italien die 
Erhöhung der ausländischen Weinzölle mit Erhöhung seiner Einfuhrzölle 
beantworten. Es sei also sichere Hoffnung auf Erneuerung der Handels- 
verträge vorhanden. 
Ueber die Mehrheit des Ministeriums sagt die „Allg. Ztg.“: Für 
das Budget haben gestimmt 19 Minister und Unterstaatssekretäre, deren 
Stimmen also, wenn man die Abstimmung nach der Richtung des damit 
dokumentierten Vertrauens in die Regierung prüft, abzuziehen sind, 62 So- 
zialisten, Republikaner und Radikale, 124 Monarchisten, zusammen 205. 
Gegen das Budget wurden 176 durchweg monarchistisch-konstitutionelle 
Stimmen abgegeben. Die Regierung hält sich also nur über Wasser, weil 
es den Umstürzlern paßt, sie zu halten, selbst indem sie für ein Budget 
stimmen, das sie inhaltlich verwerfen. Damit ist klar, daß das Ministerium 
bei dem ersten Abfall der äußersten Linken um 100 Stimmen in der 
Minorität bleibt. 
17./22. Juni. (Kammer.) Debatte über das Budget des 
Innern. Soziale Fragen. Sieg der Regierung. 
Nachdem etwa 30 Redner gesprochen und namentlich die Lage der 
Arbeiter und den wirtschaftlichen Klassenkampf behandelt haben, führt 
Ministerpräsident Zanardelli aus: Alle Redner hätten die Gesetzlichkeit 
der Ausstände der Arbeitervereinigungen und fast alle ihre Nützlichkeit 
anerkannt. Thatsächlich seien im heutigen Wirtschaftssystem, welches vom 
Gesetz von Angebot und Nachfrage beherrscht wird, das Recht auf Aus- 
stand und Vereinigung das äußerste Verteidigungsmittel der Arbeiter. 
Zanardelli fährt fort: er beklage den Klassenkampf und auch den Vertrags- 
bruch seitens der Arbeiter oder Arbeitgeber, weil die Heiligkeit des Ver- 
trages geradezu der Angelpunkt der Gesellschaft ist. (Lebhafter Beifall.) 
Er glaube indessen nicht, daß Vertragsverletzungen strafrechtlich verfolgt 
werden können. Die Arbeitsfreiheit müsse energisch geschützt werden. Seine 
Loyalität den bestehenden Staatseinrichtungen gegenüber sei über jeden 
Verdacht erhaben. Er danke dem Deputierten Fabri, der darauf hin- 
gewiesen, seine, Zanardellis, Glaubensartikel seien immer: Königtum und 
Freiheit gewesen. (Gebhafter Beifall auf allen Bänken; alle Deputierten, 
mit Ausnahme der Mitglieder der äußersten Linken, erheben sich und rufen: 
„Es lebe der König!“) Zanardelli fährt fort: Aber der Glaube an das 
Königtum und die Loyalität diesem gegenüber bestehe darin, eine Politik 
anzustreben, welche dahin wirkt, daß die Monarchie ihren ruhmreichen 
liberalen Traditionen treu bleibe. (Langanhaltender Befall, die Deputierten 
erheben sich abermals und rufen: „Es lebe der König!“) Wie er bereits 
1878 und 1882 erklärte, finde er es ganz natürlich, daß die extremen 
Parteien eine liberale Regierung einer reaktionären vorziehen. Uebrigens 
stützte sich auch das Ministerium Rudini mehrmals auf die äußerste Linke. 
Er, Zanardelli, könne nicht diesen Grundsätzen untreu werden, nur um 
sich nicht von der äußersten Linken zu trennen. (Beifall links.) Man 
diene den Staatseinrichtungen, wenn man die extremen Parteien für diese 
Staatseinrichtungen zu gewinnen suche. Er wünsche, die extremen Parteien 
scharten sich loyal um das liberale Königtum. Ferri habe sich namens 
der sozialistischen Gruppe gegen jede Gewaltanwendung erklärt. Sollte 
man seitens der Sozialisten zu Gewaltthätigkeiten schreiten, so werde die 
Regierung mit äußerster Strenge vorgehen. Der Ministerpräsident schließt: 
Wenn es ein Fehler ist, daß wir eine Politik der Unterdrückung nicht ein-