Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebzehnter Jahrgang. 1901. (42)

272 Rußland. (Februar Anf.—Mitte.) 
völlig zu vernachlässigen, und derjenige, der sie vor dem Eintritt in den 
Feldzug zur Anwendung bringen wird, wird solches nicht zu bereuen haben. 
Der Führer soll nie aus den Augen verlieren, daß der Soldat nicht nur 
Hände und Füße besitzt, sondern auch ein Gehirn und ein Herz.“ 
Anfang Februar. (Petersburg.) Mitteilung des Mini- 
steriums des Innern über Mißernten. 
Hiernach sind die Gouvernements Chersson und Tomsk, sowie das 
Gebiet von Akmolinsk von vollständiger Mißernte heimgesucht. In den 
Gouvernements Taurien, Bessarabien, Podolien, Kiew und Tobolsk, sowie 
in den Gebieten von Ssemipalatinsk und Transbaikalien sind mehrere 
Kreise von Mißernten betroffen. Nach dem Eingang der vorläufigen An- 
gaben über den Notstand wies die Regierung 1½ Millionen Rubel an. 
Nach später eingelaufenen genaueren Angaben beläuft sich der Gesamtbedarf 
auf 5,529,519 Rubel, wovon 5,014,519 Rubel bereits ausgeworfen sind. 
Die Mitteilung betont, daß auch die Hilfe der privaten Wohlthätigkeit in 
Anspruch genommen werden müsse. 
Anfang Februar. (Baku.) Bei einem Naphtabrand kommen 
zahlreiche Menschen um. 
13. Februar. (Finnland.) Streit um das Landtagsarchiv. 
Die russische Regierung verlangt, daß das finnische Staatsarchiv 
unverzüglich sämtliche vom Landtag in Borgo herrührenden Schriftstücke 
ausliefere, da dieselben im russischen Staatsarchiv aufbewahrt werden sollen. 
Der finnische Staatsarchivar Hansen lehnt es ab, diesem Befehl Folge zu 
leisten ohne bestimmte Erlaubnis des finnischen Senats. — Der Senat 
kommt um Aufhebung der Verordnung ein, wird aber vom Zaren abge- 
wiesen. 
Mitte Februar. Vorbereitung zum neuen deutsch-rusfischen 
Handelsvertrage. Drohungen Wittes. 
Die dem Finanzminister v. Witte nahestehende Handels= und In- 
dustriezeitung weist auf die Diskussion der Handelsvertragsfrage in Deutsch- 
land hin, wo jede Partei ihren Einfluß auf die Regierung auszuüben 
wünsche. Durch die Handelsverträge werde dort eine neue Gruppierung 
der Parteien bedingt; die Regierung dürfe die Bewegung nicht ruhig und 
still beobachten, sondern werde gezwungen, ihre Meinung schon vorher zu 
äußern. Dann fährt das Blatt fort: „Ganz anders wird die Frage in 
Rußland behandelt. Die Regierung verfolgt auch hier mit nicht geringerer 
Aufmerksamkeit die Wünsche der verschiedensten Bevölkerungsschichten. Sie 
erforscht aufs genaueste die ökonomische Lage der Landwirtschaft und In- 
dustrie und prüft die verschiedenen Gesuche. Die Vorarbeiten sind auch 
hier im vollen Gange, aber sie stehen abgesondert von allen anderen Ver- 
waltungsfragen da und die Regierung bleibt hier frei von jedem fremden 
Einfluß. Die Zeit, die dem Abschluß der Verträge vorangeht, ist hier 
weder von einer Agitation der interessierten Gruppen noch von anderen 
sonstigen Erscheinungen begleitet. Die Regierung braucht nicht zu ver- 
sprechen, daß sie die Interessen des Volkes im Jahre 1903 berücksichtigen 
wird. Man kann den Industriellen und Händlern, die ihre Waren ins 
Ausland ausführen, eine Ermäßigung des Einfuhrzolles in einem bestimmten 
Staate versprechen und den Zoll für die Rohstoffeinfuhr aus demselben 
Staate erhöhen. Es kann noch vieles versprochen werden, um dem eigenen 
Staate Wohlstand zu sichern. Aber die russische Regierung läßt nicht ein-