Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebzehnter Jahrgang. 1901. (42)

22    Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 27. 30.) 
darauf hinzuweisen, daß in Bayern, als es sich darum handelte, für die 
Deutschland durch die Ermordung des deutschen Gesandten widerfahrene 
Schmach Genugthuung zu verlangen, von allen Seiten aus dem ganzen 
Lande Freiwillige in Massen sich gemeldet haben, viel mehr als man ge- 
braucht hat. Se. königliche Hoheit der Prinzregent hat es sich nicht nehmen 
lassen, als der größte Teil der Bayern seine Hauptstadt verließ, sich von 
ihnen persönlich zu verabschieden und die Parade über das Bataillon ab- 
zunehmen. Meine Herren, die Thatsache, daß sich aus Bayern ebenso wie 
aus dem übrigen Deutschen Reiche in Masse Offiziere und Mannschaften 
gemeldet haben, als es galt, für Deutschlands Ehre einzustehen, diese That- 
sache ist ein neuer Beweis, wie fest und treu sämtliche deutschen Fürsten 
und die deutschen Völker zu Kaiser und Reich stehen. 
             27. Januar. (Mörchingen in Lothringen.) Infolge einer 
Streitigkeit im Offizierskasino des Infanterie--Regiments Nr. 17 
erschießt Oberleutnant Rüger den Hauptmann Adams in dessen 
Wohnung. — Der Thäter wird nach wiederholten Gerichtsverhand- 
lungen zur Ausstoßung aus dem Heere und zu Zuchthaus ver- 
urteilt. 
           30. Januar. Der Reichstag genehmigt einen Antrag 
Hieber (nl.) über die Wohnungsreform: 
           Der Reichskanzler wird darin um baldigste Einberufung einer 
Kommission aus Vertretern des Reichs, der Bundesstaaten, Mitgliedern 
des Reichstags und Männern der Praxis ersucht, die durch Enquete die 
Wohnungsverhältnisse feststellen, vorgeschlagene Reformen begutachten und 
über zweckmäßige Organisation der öffentlichen Wohnungsfürsorge und 
staatliche und kommunale Kreditvermittlung für gemeinnützige Baugesell- 
schaften Vorschläge machen soll. — Der Antrag wird durch Nationalliberale, 
Zentrum und Sozialdemokraten angenommen. 
            30. Januar. 6. Februar. (Reichstag.) Debatten über die 
Theaterzensur. (Vgl. S. 9). 
            Die freisinnige Volkspartei beantragt Aufhebung der Zensur für 
Theater, Singspiele und ähnliche Vorträge und Schaustellungen. — Abg. 
Müller (Meiningen, fr. Vp.): Die Zensur werde sehr ungleich gehandhabt, 
selbst innerhalb der einzelnen Bundesstaaten sei die Praxis sehr verschieden. 
Am engherzigsten werde sie in Preußen gehandhabt, wo die Polizei über 
die höchsten philosophisch-ästhetischen Fragen entscheide. Abg. Stockmann 
(RV.) bestreitet die Kompetenz des Reichstags in dieser Frage. Die Zensur 
sei zwar verbesserungsbedürftig, aber man dürfe nicht die letzte Schranke 
gegen die Verbreitung von Unsittlichkeiten von der Bühne aus niederreißen. 
           6. Februar. Abg. Bassermann  (nl.) erkennt die Mißgriffe der 
polizeilichen Theaterzensur an, wünscht aber ihre Beibehaltung für die 
Variétés. Abg. Roeren (Z.): Trotz der Mißgriffe sei die Zensur unent- 
behrlich, sie werde häufig noch viel zu milde gehandhabt und lasse scham- 
lose Darstellungen passieren. 
          30. Januar. Der Kaiser richtet folgenden Erlaß an den 
Reichskanzler: 
           Nach der herzerhebenden, Mich hochbeglückenden Festesfreude, mit 
welcher der so bedeutsame 200jährige Gedenktag der Erhebung Preußens