Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 31./Febr. 8.) 23
zum Königreiche im ganzen Lande gefeiert werden konnte, ist durch den
Heimgang weiland Ihrer Majestät der Königin von Großbritannien und
Irland, Meiner vielgeliebten, hochverehrten Großmutter, tiefe Trauer über
Mich und Mein Haus gekommen. Unter dem frischen Eindruck dieser Heim-
suchung habe ich Meinen diesjährigen Geburtstag an der Bahre der edlen
Fürstin in stiller Einkehr begangen. Umso wärmer und lauter sind aber
an Mein landesväterliches Herz die zahlreichen Kundgebungen aus der
Heimat gedrungen, welche Mir die innige Teilnahme Meines Volkes an
Meinem Schmerze, sowie seine treue Fürbitte für Mein ferneres Wohl-
ergehen zum Ausdruck gebracht haben. Es hat Mir wohlgethan, erneut
zu erfahren, in welch freundlicher Weise Meiner an Meinem Geburtstage
in deutschen Landen und seitens der im Auslande weilenden Deutschen
gedacht wird. Es drängt Mich, allen Beteiligten Meinen wärmsten Dank
zu erkennen zu geben. Gott der Herr aber wolle das deutsche Volk in allen
seinen Schichten und Gliedern auch ferner in seinen gnädigen Schutz nehmen
und die deutsche Treue, den deutschen Fleiß und die deutsche Arbeit alle-
zeit mit Segen krönen. Ich ersuche Sie, diesen Erlaß alsbald zur öffent-
lichen Kenntnis zu bringen.
Osborne, den 30. Januar 1901.
Wilhelm l. R.
31. Januar. 8. Februar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.)
Debatte über die Anstellung von Juden im Justizdienst.
Beim Justizetat verweist Abg. Peltasohn (fr. Vg.) auf das Miß-
verhältnis zwischen der Verleihung des Notariats an jüdische und christ-
liche Rechtsanwälte; christliche Rechtsanwälte werden in Berlin durchschnitt-
lich nach 8 Jahren, jüdische nach 18 Jahren Notare. In Berlin und in
Posen sind weit weniger jüdische Notare, als der Anzahl der jüdischen
Rechtsanwälte entspricht. In Posen ist seit 1879 nur ein einziger jüdischer
Notar ernannt, es gibt dort sogar jüdische Justizräte, die noch nicht
Notare sind, und das widerlegt auch die Annahme, als ob die jüdischen
Rechtsanwälte wegen Untüchtigkeit oder dergleichen nicht zu Notaren er-
nannt werden. Ich halte das auf diesem Gebiete zu Tage getretene Ver-
halten der Justizverwaltung für nicht mit der Verfassung und dem be-
stehenden Gesetz im Einklang befindlich.
Justizminister Schönstedt: Der Herr Vorredner ist von dem falschen
Gesichtspunkt ausgegangen, daß bei der Ernennung von Notaren das
Interesse der Rechtsanwälte maßgebend ist, nicht aber das Interesse der
Bevölkerung. In Berlin sind unter 851 Rechtsanwälten 526 jüdische, also
etwa drei Fünftel (Hört! hört!), unter den 176 Notaren sind 65 jüdische,
also etwas über ein Drittel. Der Prozentsatz der jüdischen Bevölkerung
ist 5,4. (Hört! hört!) Ich würde es zunächst ablehnen, Auskunft zu geben
über die Gründe, die mich im einzelnen bestimmen bei der Ernennung von
Notaren. Ich mache von meinem Recht der Ernennung nach bestem Wissen
und Gewissen Gebrauch, maßgebend ist für mich dabei an erster Stelle das
Interesse der Bevölkerung, ich glaube aber, daß ich es nicht würde ver-
antworten können der Bevölkerung gegenüber, wenn ich beispielsweise in
Berlin jüdische Notare in derselben Anzahl ernennen würde, wie es dem
Prozentsatz der jüdischen Rechtsanwälte oder dem Dienstalter entspricht.
Ich glaube, das würde in weiten Kreisen der Bevölkerung Anstoß erregen:
daß das Notariat mehr oder weniger ausschließlich bei jüdischen Rechts-
anwälten liegt, kann ich und werde ich nicht herbeiführen. Gerade die
Geschäfte, zu denen die Notare hinzugezogen werden, sind solche, die ein
persönliches Vertrauen voraussetzen, es handelt sich vielfach um die intimsten