Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebzehnter Jahrgang. 1901. (42)

24      Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 27./Febr. 8.) 
Familienangelegenheiten, wie die aller diskretesten Vermögenssachen, und 
da glaube ich, wie die Verhältnisse bei uns einmal liegen, damit rechnen 
zu müssen, daß ein großer Teil der christlichen Bevölkerung Bedenken trägt, 
alle diese Verhältnisse jüdischen Rechtsanwälten anzuvertrauen. Damit er- 
hebe ich keinen Vorwurf gegen die jüdischen Rechtsanwälte, ich erkenne es 
an, daß unter ihnen eine große Zahl ganz hervorragender und in jeder 
Beziehung ehrenwerter und Vertrauen verdienender Leute sich befinden, 
trotzdem muß ich mit der Thatsache rechnen, daß die christliche Bevölkerung 
diesen nicht ihre vertraulichen Angelegenheiten anvertrauen will. Von einer 
Verletzung der Verfassung und besonders von einer Verletzung der Gesetze 
von 1869 ist dabei keine Rede. Wenn ich den Grundsätzen des Abgeord- 
neten Peltasohn folgte, dann würden wir vielleicht nach kaum 10 Jahren 
in Berlin nur noch jüdische Notare haben, und das ist ein Zustand, für 
den ich die Verantwortung nicht übernehmen könnte. Im ganzen Staat 
ist die Zahl der jüdischen Rechtsanwälte in den Jahren 1887 bis 1900 
von 20,4 auf 26,8 Prozent gestiegen, auch die Zahl der jüdischen Assessoren 
und Richter stieg prozentual, und es hat für mich keine geringen Schwierig- 
keiten, jüdische Assessoren in Richterstellen zu bringen. Ich hätte nicht er- 
wartet, daß der Herr Vorredner gerade der Justizverwaltung solche Vor- 
würfe gemacht hätte, da doch in der ganzen Monarchie alle anderen 
Verwaltungen es ablehnen, jüdische Herren zu nehmen. Von den Ober- 
landesgerichtspräsidenten wird mir jedesmal, wenn ein jüdischer Konkurrent 
in Frage kommt, bemerkt, wie schwierig und fast unmöglich es sei, jüdische 
Richter in jenen Bezirken anzustellen. Ich erkenne an, daß nach dem 
Gesetz die Juden gleichberechtigt sind, und daß ihnen alle öffentlichen 
Aemter zugänglich sind, aber ich erkenne nicht an, daß jeder, der eine 
Prüfung abgelegt hat, nun ein Recht hat, angestellt zu werden. Es wird 
bei der Anstellung von Fall zu Fall geprüft werden müssen, ob bei den 
gesamten Verhältnissen die Anstellung eines jüdischen Richters zulässig ist. 
Die jüdischen Rechtsanwälte und Assessoren sind meist vernünftig und 
objektiv genug, zuzugeben, daß ihre Anstellung nur in beschränktem Um- 
fang erfolgen kann. Ein bestimmter Prozentsatz ist nicht vorgesehen. Es 
ist auch möglich, daß mit der Zeit sich das Verhältnis der jüdischen Beamten 
zu den christlicher noch ungünstiger gestaltet, ich kann daran nichts ändern, 
ich habe der Gesamtheit zu dienen. — Dem Abgeordneten Schmitz gegen- 
über bemerke ich: Es hat mich gefreut, anerkennen zu hören, daß der 
Uebergang vom alten zum neuen Recht sich viel leichter vollzogen hat, als 
von vielen Seiten angenommen wurde, und ich kann meinerseits nur die 
Anerkennung aussprechen, daß die Richter sich über Erwarten befähigt 
haben, in die neuen Verhältnisse hineinzutreten. Was die Aenderungen 
beim Immobilienverkehr angeht, so war der Reichstag dabei von der Vor- 
aussetzung ausgegangen, daß es notwendig sei, diesen Verkehr auf eine 
sichere Basis zu stellen: man wird sich daran gewöhnen. Was das Gesetz 
betreffend die Fürsorgeerziehung betrifft, so wird im nächsten Ministerial- 
blatt ein gemeinsam von mir und dem Minister des Innern herrührender 
Erlaß an die Staatsanwälte und die mit der Strafvollstreckung betrauten 
Amtsrichter veröffentlicht werden, der sich auf die Ausführung des Gesetzes 
bezieht. An die Vormundschaftsrichter wendet sich der Erlaß nicht, da wir 
von diesen von vorneherein voraussetzen, daß sie die hohe Bedeutung des 
Gesetzes voll und ganz zu würdigen wissen. (Beifall.) 
                 Am 8. Februar bezeichnet Abg. Crüger (fr. Vp.) die Grundsätze 
des Ministers als verfassungswidrig, denn alle Konfessionen seien gleich- 
berechtigt. Justizminister Schönstedt: Es heiße in der Verfassung: „Der 
König besetzt alle Stellen im Heere, wie in den übrigen Zweigen der