Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebzehnter Jahrgang. 1901. (42)

 32       Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 4./7.) 
schiffahrtsweg Berlin— Stettin gebaut werden soll. Es ist vollständig irrig, 
daß die Vorlage weniger weit geht, wie die Versprechungen der Regierung. 
Abg. Graf Limburg ist bedenklich, weil die Wirkungen wirtschaftlicher 
Maßnahmen nicht vorher zu berechnen seien. Von dem Standpunkte aus 
dürfen wir überhaupt nichts thun zur Verbilligung der Transporte und 
was sonst in die wirtschaftlichen Verhältnisse irgendwie eingreift. Wir 
haben das große allgemeine Interesse häufig unterzuordnen und das gilt 
besonders für diesen Fall. Ich erinnere hier daran, wie die politischen 
Freunde des Abgeordneten Graf Limburg mit uns für die Besserung der 
Schiffahrtsverhältnisse des Rheins und der Elbe eingetreten sind. Damals 
hat man nicht davon gesprochen, daß die Maßnahmen wirtschaftliche Ver- 
schiebungen zur Folge haben könnten. Die Regierung ist stets bemüht, 
einen Ausgleich der Interessen herbeizuführen und hat dies auch bei der 
Kanalvorlage erstrebt. Graf Limburg-Stirum führte Beispiele dafür an, 
wie die Wirkungen von Maßnahmen wirtschaftlicher Natur entgegengesetzter 
Art, wie sie voraus vermutet wurden, waren. Er vergißt aber die Fälle, 
wo die Voraussetzungen eingetroffen sind. Es liegt einmal in der Natur 
des Deutschen, zu kritisieren, und da kommt man dazu, daß man nur die 
Schattenseite sieht und dabei die Lichtseite ganz vernachlässigt. Man sagt, 
die Zeit der Kanäle sei vorbei, das ist falsch. Die Zeit der Kanäle war 
damals, als das Eisenbahnwesen seine Entwickelung begann, vorbei, aber 
sie ist wieder gekommen. Die Herren von Schlesien wollen die Garantien 
in das Gesetz hineingeschrieben haben. Sind denn die gesetzlichen Garantien 
für Schlesien weniger wert wie die schon 1886 gegebenen? Wenn letztere 
nichts wert sind, sind auch die ersteren nichts wert. Was das Finanzielle 
der Frage angeht, so erkläre ich: Ich würde mich nie entschlossen haben, 
den Kanal zu empfehlen, wenn ich nicht von der finanziellen Durchführ- 
barseit überzeugt wäre. Die Kapitalsanschaffung wird nur eine allmähliche 
sein. Für den Bau sind 15 Jahre vorgesehen, möglicherweise wird die 
Bauzeit noch etwas länger sein. Wenn man nun eine Kapitalsbeschaffung 
zu 1½ Prozent annimmt — ich denke, das Kapital wird billiger zu er- 
halten sein — so müßten wir während des Baues 26 Millionen jährlich 
aufbringen. Die Summe erscheint nicht groß, wenn man bericksichtigt, 
daß wir seit 1880 für Sekundärbahnen jährlich 43 Millionen ausgegeben 
haben. Wenn dadurch unsere Finanzen nicht geschädigt sind, werden sie 
es auch nicht durch den Kanalbau. Die Kapitalsunkosten beim Kanalbetrieb 
werden sich auf Brutto 19,5 Millionen belaufen. Davon muß der Staat 
für 11,9 Millionen eintreten. Das ist das Maximum dessen, was der 
Kanal dem Staate kosten wird, wenn gar kein Verkehr auf dem Kanale 
ist. Daß dies eintritt, ist nicht anzunehmen. Wir haben schon jetzt Kanäle, 
welche sich rentieren, obwohl die Kanalabgaben nur mangelhaft geordnet 
sind. So bringt der Finowkanal einen Ueberschuß von 10 Millionen. Der 
Kanal wird aber durch die reichsten Provinzen gehen, und es ist daher nicht 
zweifelhaft, daß sich ein lebhafter Verkehr auf dem Kanal entwickeln wird. 
Eine bestimmte Rente kann ich natürlich nicht garantieren. Eine Haupt- 
frage hierfür ist, wie die Schiffahrtsabgaben geregelt werden. Die völlige 
Aufhebung der Abgaben auf dem Wasser halte ich für eine unberechtigte 
Begünstigung einer Klasse auf Kosten des Staates. Es ist dann gesagt, 
der Staat verliere durch die billigeren Kanalabgaben die Herrschaft über 
die Eisenbahnen. Das könnte vielleicht eintreten, wenn die Wasserstraßen 
von Privatunternehmern gebaut würden. Da der Staat sie baut, behält 
er seine Souveränität bezüglich der Festsetzung des Tarifes, weil er beide 
Verkehrsmittel in der Hand hat. Richtig ist, daß bei den Anlagen von 
Wasserstraßen der Eisenbahnverkehr des Bezirks zunächst etwas getrennt ist.