Belgien. (März 13.—April 18.) 273
250000 Arbeiter und Bürger machen den König auf den Ernst der Kund-
gebungen aufmerksam, welche zu Gunsten des allgemeinen Stimmrechtes
stattfänden, und fordern ihn auf, seine Macht in dem Sinne zu betätigen,
daß die Lösung der Wahlfrage schleunigst auf friedlichem Wege herbei-
geführt werde.
13. März. In der Kammer kommt es bei der Beratung
des allgemeinen Stimmrechts, in der Ministerpräsident Smet de
Naeyer von revolutionären Absichten der Sozialisten spricht, zu so
stürmischen Unterbrechungen, daß die Sitzung unterbrochen wer-
den muß.
März. Die liberalen Parteien einigen sich zu einem Wahl-
programm, in dem fie gleiches Wahlrecht und obligatorischen Schul-
unterricht fordern.
19. März. Die Kammer lehnt die Anträge, den Frauen
das kommunale Wahlrecht zu erteilen und das wahlfähige Alter
von 24 auf 21 Jahre herabzusetzen, ab.
20. März. Der Senat genehmigt das Militärgesetz mit 56
gegen 25 Stimmen. — Ein Antrag auf Abschaffung der Stell-
vertretung wird abgelehnt.
22. März. Die Kammer genehmigt mit 93 gegen 7 Stimmen
den Gesetzentwurf über das Verbot aller Spielhäuser in Belgien.
23. März. (Brüssel.) Ein Zug von mehreren Hundert
liberalen, christlich-demokratischen und sozialistischen Vereinen demon-
striert für das allgemeine Stimmrecht.
30.|31. März. (Brüssel.) Der belgische Sozialistenkongreß
faßt folgende Beschlüsse:
1. allgemeines und gleiches Stimmrecht nach dem Grundsatz: „Ein
Mann, eine Stimme“; 2. Aufnahme des Grundsatzes des Proportional-
Wahlsystems (Minderheitsvertretung) in die Verfassung, wodurch dieser
Grundsatz der Abänderung durch die wechselnden Parlamentsmehrheiten
entzogen wird; 3. Verwerfung des Frauenstimmrechtes.
9.—21. April. In Brüssel, Gent, Lüttich, Brügge, Löwen,
Namur finden große Demonstrationen für das allgemeine Stimm-
recht statt. Üüberall kommt es zu blutigen Zusammenstößen zwischen
den Massen mit der Polizei und den Truppen. Der allgemeine
Ausstand wird proklamiert, aber nach wenigen Tagen (20. April)
wird die Arbeit überall wieder aufgenommen.
18. April. Die Kammer lehnt nach mehrtägiger stürmischer
Debatte mit 84 gegen 64 Stimmen die von den Sozialisten be-
antragte Revision der Verfassung ab, weil sie das Land in Er-
regung stürzen werde.
Europäischer Geschichtskalender. XLIII. 18