Das Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 30.—Nov. 4.) 161
einzulullen und einzufangen, durch das Linsengericht der Bewilligung einiger
sogenannter „berechtigter Forderungen“ sie um das Erstgeburtsrecht ihrer
völligen Befreiung zu betrügen. Es gibt aber keine isolierten berechtigten-
Forderungen. Das ganze weite Gebiet des gesellschaftlich-politischen Da-
seins ist untrennbar und unteilbar. Das Proletariat ist an allen poli-
tischen und sozialen Fragen unmittelbar interessiert und so kann es nur
als Klasse im Klassenkampf mit einem allumfassenden Programm erfolg-
reich kämpfen.“
Die „Berliner Neuesten Nachrichten“ finden, daß der Kongreß zu
radikale Forderungen aufstelle, um segensreich zu wirken, z. B. sei das
freie Koalitionsrecht unmöglich. Aehnlich sprechen sich „Kreuz-Zeitung“
und „Hamburger Nachrichten“ aus. Weitaus die meisten bürgerlichen
Blätter begrüßen den Kongreß mit Sympathie und erwarten davon eine
Belebung der Sozialpolitik und günstige Wirkung auf die Sozialdemokratie.
30. Oktober. Die Bayerische Abgeordnetenkammer ge-
nehmigt den Entwurf der Errichtung eines Verkehrsministeriums
gegen 9 Stimmen der Freien Vereinigung.
31. Oktober. (Stettin.) Das Kaiserpaar wohnt dem Stapel-
lauf eines Linienschiffes bei, das die Kaiserin „Preußen“ tauft.
1. November. (Charlottenburg.) Theodor Mommsen f.
Geboren am 30. Januar 1817 in Garding, 1858 Professor in
Berlin, 1874 ständiger Sekretär der Akademie der Wissenschaften. 1873—82
nationalliberaler, später freisinniger Landtagsabgeordneter. Sein Haupt-
werk, die „Römische Geschichte“, ist zuerst 1854 erschienen.
Der Kaiser sendet folgendes Telegramm an die Witwe: „Schmerz-
lich bewegt durch Ihre Meldung von dem Hinscheiden Ihres Gatten, spreche
Ich Ihnen und den Hinterbliebenen der Familie des Verewigten Meine
herzliche Teilnahme aus. Gott der Herr tröste Sie in Ihrem schweren
Leide! Die ganze gebildete Welt nimmt teil an Ihrem Verluste. Hat sie
doch in dem Entschlafenen ihren größten humanistischen Gelehrten, einen
Meister der römischen Geschichtsforschung und unübertrefflichen Organisator
wissenschaftlicher Unternehmungen verloren. Was den Heimgegangenen
aber Mir besonders nahe gebracht hat, das sind seine Verdienste um die
Erforschung des Limes. In dankbarer Anerkennung seines Wirkens auf
diesem Gebiete hatte Ich bereits angeordnet, daß eine Marmorbüste des
großen Forschers von Künstlerhand gefertigt und auf der Saalburg auf-
gestellt wird. Ich wollte ihm hierdurch zu seinem kurz bevorstehenden
sechzigjährigen Doktorjubiläum eine Freude bereiten. Durch Gottes Rat-
schluß hat er diesen Tag nicht mehr erleben sollen; sein Bildnis aber wird
der Nachwelt die Züge eines seltenen Mannes überliefern, dessen Name
für alle Zeiten ein Ehrenblatt in der Geschichte der deutschen Wissenschaft
bilden wird. Gezeichnet Wilhelm I. R.“ — An der Beerdigungsfeier am
5. November nimmt der Kronprinz teil.
4. November. (Posen.) Die neue kgl. Akademie wird er-
öffnet.
Sie hat die Aufgabe, „das deutsche Geistesleben in den Ostmarken
durch Fare Lehrtätigkeit und ihre wissenschaftlichen Bestrebungen zu fördern“.
Die Lehrtätigkeit besteht vornehmlich in der Abhaltung von Vorlesungen,
Vortrags= sowie Uebungsvorlesungen, und wissenschaftlichen Fortbildungs-
kursen für verschiedene Berufszweige. Außerdem hat die Akademie die
Europäischer Geschichtskalender. XIIV. 11