178 Nos Neutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.)
um alle menschlichen Krankheiten und Leiden zu heilen. (Zuruf bei den
Sozialdemokraten: Behaupten wir denn das?) Ich sage also, daß die Art
und Weise, wie die Sozialdemokratie beständig bestrebt ist, ihre republi-
kanische Gesinnung zu bekunden, schädlich ist für die Fortführung der
Sozialreform, und daß sie auch in hohem Grade ungerecht ist, denn es
gibt keine Republik, wo so viel für die arbeitenden Klassen geschehen ist,
als im monarchischen Deutschland (Sehr richtig!) von der Politik unseres
alten Kaisers Wilhelm I. bis heute. (Sehr richtigl) Das ganze Ausland
gibt zu, daß weder in England, noch in Frankreich, noch in Amerika, noch
in irgend einem anderen Lande der Welt für die arbeitenden Klassen ge-
schehen ist, was bei uns geschehen ist. In der Schweiz, wo der Abg. Bebel
während eines Teiles des Sommers lebt, wird ihm nicht entgangen sein,
daß große sozialpolitische Gesetze zwar angenommen wurden von der
Bundesversammlung, aber in der Volksabstimmung fielen. (Sehr richtig.)
Das bekannte Projekt der Arbeitslosenversicherung für Basel-Stadt ist von
dem Großen Rat des Kantons angenommen, dagegen im Referendum ab-
gelehnt worden. Das ist eine schöne Illustration zu allen Angriffen, die
der Abg. Bebel eben gegen die bürgerlichen Klassen, gegen die höheren
Klassen gerichtet hat. — Ich will in diesem Zusammenhange nicht eingehen
auf die Frage der indirekten oder direkten Steuern. Der Abg. Bebel hat
eben noch mit großer Lebhaftigkeit plädiert für die direkten Steuern. Es
wird dem Herrn Abg. Bebel nicht unbekannt sein, daß in keinem Lande
der Welt der Widerstand gegen die Einführung direkter Steuern und
namentlich progressiver direkter Steuern, die Herrn Bebel als Ideal vor-
schweben, stärker ist als in dem republikanischen Frankreich. (Zuruf des
Abg. Bebel: Die Regierung macht's nicht!) Aber Herr Millerand! Herr
Bebel hat weiter eine entsetzliche Schilderung entworfen von unseren
heutigen Zuständen. Er vergleicht dieselben zweimal mit den Zuständen
in dem kaiserlichen Rom, im sinkenden Rom. Da muß ich wirklich sagen:
ein hinkenderer Vergleich ist mir noch nicht vorgekommen. Ich habe mich
doch auch mit römischer Geschichte beschäftigt. Wo in aller Welt soll denn
eine Aehnlichkeit bestehen zwischen den damaligen Zeiten und den heutigen?
Ich versichere Sie, daß der Senat zur Zeit des Kaisers Tiberius ganz
anders aussah, wie dieses hohe Haus. (Stürmische Heiterkeit.) Hätte dort
jemand eine Rede gehalten, wie heute der Abg. Bebel, es wäre ihm schlecht
bekommen. (Große Heiterkeit.)
Der Abg. Bebel hat auch von Byzantinismus gesprochen. (Sehr
richtig!l) Ich habe mich wirklich gewundert, daß der Abg. Bebel das Wort
in den Mund genommen hat. Ihm wird doch wohl nicht unbekannt sein,
daß es nicht nur einen Byzantinismus nach oben gibt, sondern auch einen
nach unten. (Lebhafte Zustimmung.) Es gibt nicht nur Fürstenschranzen,
es gibt auch Volksschranzen. (Sehr richtig und Heiterkeit.) Das sind
diejenigen, die immer dem untrüglichen Masseninstinkt schmeicheln. Das
sind diejenigen, die finden, daß der Herr „Demos“ sich niemals irren
könne. Und von diesen Volksschranzen hat unser großer Dichter gesagt,
„sie seien die schlimmsten von allen“. (Heiterkeit.) Herr Bebel hat Vor-
gänge zur Sprache gebracht, die sich in Crimmitschau abgespielt haben.
Ich muß es selbstverständlich dem sächsischen Herrn Bevollmächtigten über-
lassen, im einzelnen auf die Ausführungen zu antworten. Ich möchte
aber doch folgendes sagen: Wenn Herr Bebel von dem Terrorismus der
Arbeitgeber sprach, wenn er über Unterdrückung klagte, wenn er in allen
Tonarten alle möglichen Freiheiten fordert, so erwidere ich ihm, wo herrscht
denn weniger Freiheit als bei Ihnen! (Große Unruhe bei den Sozial-
demokraten.) Keine Partei hat im Wahlkampfe die Redefreiheit und die