Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

Das Dentsqe Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 19./23.) 21 
bewaffnete Aktion so bald als möglich zum Abschluß zu bringen. Die über 
die Küste von Venezuela von den drei Mächten verhängte Blockade wird 
voraussichtlich aufgehoben werden, sobald die diplomatischen Verhandlungen 
in Washington zu einem befriedigenden Abschluß geführt haben. Wie 
estern von dem Abg. Schädler mit Recht anerkannt worden ist, befinden 
ich die Verhandlungen zwischen den fünf beteiligten Regierungen gegen- 
wärtig in vollem Fluß; es würde nicht im Interesse der Sache liegen, 
wenn ich heute mehr sagte. Sobald sich die Situation geklärt haben wird, 
werde ich aber nicht verfehlen, diesem hohen Hause Mitteilung zu machen. 
Nur zwei Punkte möchte ich heute noch berühren: Der Herr Abg. v. Voll- 
mar — ich habe diesen Teil seiner Ausführungen nicht selber angehört — 
scheint gemeint zu haben, es sei auffällig, daß der Präsident der Vereinigten 
Staaten von Amerika, Roosevelt, die Vorschläge Deutschlands, Englands 
und Italiens auf schiedsrichterliche Behandlung der Angelegenheit abge- 
wiesen hätte. Dieser Auffassung bin ich jedenfalls anderswo, auch in der 
Presse, häufig begegnet, und ich halte es für indiziert, diesen Irrtum hier 
nach Lage der Akten zu beseitigen. Am 13. Dezember überreichte der hiesige 
amerikanische Botschafter ein Memorandum, wonach die venezolanische Re- 
gierung den Vorschlag gemacht hat, die gegen sie erhobenen Reklamationen 
auf dem Wege des schiedsgerichtlichen Verfahrens zu erledigen. Den gleichen 
Vorschlag übermittelte die amerikanische Regierung der britischen und der 
italienischen Regierung. Der Vorschlag wurde von den drei Mächten unter 
gewissem Vorbehalt angenommen. Dabei verständigten sich diese, das 
Schiedsamt in erster Linie dem Präsidenten Roosevelt zu übertragen, 
gleichzeitig aber auch das Haager Schiedsgericht als geeignete Instanz zu 
ezeichnen, da es von vornherein nicht ausgeschlossen erschien, daß Präsident 
Roosevelt die Uebernahme des Schiedsamts aus sehr gewichtigen Gründen 
ablehnen könnte. Dementsprechend wurde in die der hiesigen amerikanischen 
Botschaft am 23. Dezember übergebene Antwort folgender Passus auf- 
genommen: „Auch würde die Regierung es mit Dank erkennen, wenn der 
Präsident der Vereinigten Staaten geneigt sein würde, das Schiedsamt 
unter den angegebenen Voraussetzungen zu übernehmen. Sollte hierzu der 
Präsident der Vereinigten Staaten zum Bedauern der Regierungen nicht 
geneigt sein, so sind diese auch bereit, die Angelegenheit dem Haager Schieds- 
gericht zu unterbreiten.“ Erklärungen gleichen Inhalts wurden von Eng- 
land und Italien abgegeben. In einem Schreiben vom 27. Dezember hat 
sich darauf der hiesige amerikanische Botschafter über die Stellung des 
Präsidenten Roosevelt zu den Vorschlägen der drei Mächte folgendermaßen 
erklärt: „Der Präsident schätzt außerordentlich die von den beteiligten 
Mächten an ihn erangene ehrenvolle Aufforderung, ihre gegenwärtigen 
Streitigkeiten mit Venezuela als Schiedsrichter zu schlichten. Er wäre 
glücklich gewesen, dem Wunsch der Mächte zu entsprechen und seine besten 
Bemühungen zur Erreichung dieses Zweckes anzuwenden, wenn sich nicht 
ein anderer und besserer Weg zur Beendigung der Streitigkeiten geboten 
hätte. Der Präsident ist aber immer der Ansicht gewesen, daß der ganze 
Streit dem hohen Schiedshof im Haag zu unterbreiten sei, seit dieser 
Schiedshof von den wichtigsten Mächten der ganzen Welt eingesetzt sei, um 
Fälle der vorliegenden Art, bei denen es sich weder um Fragen der natio- 
nalen Ehre, noch um Gebietsabtretungen handelt, zur Entscheidung zu 
bringen.“ Aus diesem Schriftwechsel ergibt sich, daß Präsident Roosevelt 
keineswegs die Vorschläge der drei Mächte zurückgewiesen, sondern von den 
beiden in Aussicht genommenen Wegen den ihm geeignet erscheinenden be- 
zeichnet hat. M. H., ich habe vorhin gesagt, daß in der venezolanischen 
Angelegenheit zwischen Deutschland, England und Italien volles Einver- 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.