Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunzehnter Jahrgang. 1903. (44)

Das Denishhe Reich und seine einjelnen Glieder. (Februar 3.) 35 
herzogtum wohnen und wenigstens seit drei Jahren die hessische Staats- 
angehörigkeit besitzen, und 3. seit Anfang des Rechnungsjahres, in welchem 
die Wahl vorgenommen wird, zu einer direkten Staats= oder Gemeinde- 
steuer herangezogen sind. 
Anfang Februar. (Elsaß-Lothringen.) Es bildet sich eine 
katholische Landespartei mit folgendem Programm: 
Auf politischem Gebiete: Gleichstellung Elsaß-Lothringens mit den 
anderen Bundesstaaten; allgemeines, gleiches, geheimes, direktes Wahlrecht 
für den Landesausschuß; freiheitliche Reform des Vereins= und Versamm- 
lungsrechts. Auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete: Zweckmäßige Ein- 
schränkung der Ausgaben in der Zivil- und Militärverwaltung und ge- 
rechte Verteilung der Steuern; Schutz der nationalen Arbeit und Produk- 
tion; Ausbau der sozialen Gesetzgebung für die verschiedenen Erwerbsstände. 
Auf religiösem Gebiete: Aufhebung aller Ausnahmegesetze gegenüber den 
religiösen Genossenschaften; Konfessionalität der Schule; volle Anerkennung 
der Rechte der Kirche, der Gemeinde und der Familie auf dieselbe; Frei- 
heit des Unterrichts. 
3. Februar. (Reichstag.) Etat. Bülow über die Diäten- 
und Jesuitenfrage. Neueinteilung der Wahlkreise. 
Abg. Spahn (3.) fordert, daß der Bundesrat den Reichstags- 
beschlüssen über Zahlung von Diäten und die Aufhebung des Jesuiten- 
gesetzes zustimme. Die Jesuiten hätten sich in China Verdienste um die 
Deutschen erworben, einem französischen Jesuiten habe der Kaiser sogar 
die Chinamedaille verliehen. Abg. Barth (fr. Vg.) beantragt eine Reso- 
lution, in welcher die Regierung ersucht wird um Vorlage eines Gesetz- 
entwurfes betr. Neueinteilung der Reichstagswahlkreise unter Berücksichtigung 
der seit Gründung des Reiches erfolgten Verschiebung der Bevölkerung. 
Reichskanzler Graf Bülow: Abg. Spahn hat für den Beschluß des 
Reichstags namentlich praktische Gesichtspunkte angeführt, wie die Auswahl 
geeigneter Kandidaten für die Reichstagswahlen, die Aussicht auf einen 
stärkeren Besuch der Reichstagssitzungen und damit die Förderung der par- 
lamentarischen Geschäfte. Wie ich gegenüber einzelnen Mitgliedern dieses 
Hauses schon keinen Zweifel darüber gelassen habe, will ich auch hier gern 
bekennen, daß ich mich auch heute diesen Zweckmäßigkeitsgründen nicht 
verschließe, denselben vielmehr einen erheblichen Wert beimesse, obwohl nach 
den in anderen Parlamenten gemachten Erfahrungen der erhoffte Erfolg 
der Maßnahmen nicht ganz sicher erscheint. Aber auch, wenn ich von der 
unbedingten Nützlichkeit der Gewährung von Diäten völlig überzeugt wäre, 
so stehe ich der Frage doch gegenüber als oberster Reichsbeamter, der über 
die Interessen und Anschauungen der verbündeten Regierungen nicht hin- 
weggehen kann, sondern ihnen entsprechend seine Haltung einzurichten hat. 
Der Beschluß des Reichstags vom 9. oder 10. November 1901 verlangt die 
Aenderung eines Artikels der Reichsverfassung, dem von den Schöpfern der 
Reichsverfassung ein besonderes Gewicht beigelegt wurde. Wir alle wissen, 
daß die Diätenlosigkeit als notwendiges Korrelat der Vorschriften über das 
allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht gedacht war, und wenn 
auch die Ansicht von der Zweckmäßigkeit der Diäten im Laufe der letzten 
Jahre sicherlich an Boden gewonnen hat, so vertreten doch auch heute noch 
zahlreiche Politiker von zweifellos nationaler Gesinnung den Standpunkt, 
keine Einführung von Diäten ohne einen Ausgleich beim Wahlrecht, so 
3. B. Einführung einer Altersgrenze für das aktive Wahlrecht oder Ein- 
führung einer Wahlpflicht, alles Vorschläge, die meines Erachtens auf eine 
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