Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

2 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 8.—13.) 
der zweiten Abteilung alle diejenigen, welche in derselben Weise weniger 
als 300 Mark, aber mindestens 38 Mark Staatssteuern entrichten oder bei 
geringerer Steuerleistung die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienst 
erlangt haben, c) in der dritten Abteilung alle übrigen, sofern sie über- 
haupt Staatssteuer entrichten. Die berufsständischen Wahlen werden in 
der angegebenen Weise von den Unternehmern der drei Hauptproduktiv- 
stände vollzogen. Im übrigen verbleibt es bei dem bisherigen Wahlver- 
fahren, bei dem Erfordernis absoluter Mehrheit bei den ersten und relativer 
Mehrheit bei den zweiten Wahlen und den bisherigen Erfordernissen be- 
züglich der Wählbarkeit der Abgeordneten. Bei der Einführung des neuen 
Wahlrechts würde eine Integral-Erneuerung der Zweiten Kammer nicht 
zu vermeiden sein und später eine Eindrittel-Erneuerung der Kammer 
alle zwei Jahre. Von der Vorlegung eines Gesetzentwurfes sieht die Re- 
gierung zunächst ab, da sie abwarten will, ob und wieweit die Kammern 
mit der Wahlrechtsreform sich einverstanden erklären. — In der Begrün- 
dung wird gegen das indirekte Wahlsystem u. a. geltend gemacht, daß unter 
seiner Herrschaft die Sozialdemokratie eher ab- als zugenommen habe. 
8. Januar. (Berlin.) Der Kaiser empfängt den Fürst- 
bischof von Prag, v. Skrbensky, der den schlesischen Teil seiner 
Diözese visitieren will. 
8. Januar. (Bayerisches Abgeordnetenhaus.) Es finden 
heftige Auseinandersetzungen zwischen den Abgeordneten Dr. Gäch 
(fr. Vg.) und Dr. Heim statt infolge von persönlichen Angriffen 
gegen Heim. 
12. Januar. (Reichstag.) Abgeordnete der Linken und 
der Nationalliberalen fordern eine Revision des Börsengesetzes, das 
das Kapital ins Ausland treibe, Redner der Rechten und des Zen- 
trums lehnen eine grundsätzliche Reform ab. 
12./13. Januar. (Reichstag.) Debatte über die Wurm- 
krankheit. (Vergl. 1903 S. 55, 123.) 
Die Sozialdemokraten interpellieren, wie der Reichskanzler die Wurm- 
krankheit bekämpfen wolle. — Abg. Sachse (Soz.): Die Regierung habe 
nichts Energisches und Praktisches gegen die Krankheit unternommen, so 
daß sie schon ins Heer eingedrungen sei. Man habe zwar Baracken für 
die Kranken errichtet, aber durch ungeeignete Vorschriften Empörung unter 
den Arbeitern erzeugt. Die Aerzte ständen der Krankheit verständnislos 
gegenüber. Die Gelder zur Bekämpfung der Krankheit seien den Knapp- 
schaftskassen entnommen worden, während sie die Zechenverwaltungen auf- 
bringen müßten. Das Reich müsse eintreten auf Grund des Gesetzes zur 
Bekämpfung gemeingefährlicher Seuchen. 
Staatssekretär Graf Posadowsky teilt einiges über die Bekämpfung 
außerhalb Preußens mit: In Bayern wurden im Oktober 1903 in den 
Gruben der Pfalz zwei Wurmkranke festgestellt. Um die Verbreitung der 
Seuche zu verhindern, ist die Beschäftigung Wurmkranker unter Tage 
untersagt und die ärztliche Untersuchung der seit 1902 von auswärts zu- 
gezogenen Arbeiter angeordnet worden. Die als gesund Befundenen werden 
zunächst längere Zeit über Tage beschäftigt und beobachtet. In Sachsen 
wurden bisher vier Wurmkrankheitsfälle ermittelt und zwar bei Leuten, 
die vorher in Westfalen gearbeitet hatten. Schritte zur Bekämpfung der 
  
  
 
	        
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