Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 18.) 7 
durch sind die Zufluchtsorte in der Mitte der Kolonie nur mit schwachen 
und über ein weites Gebiet zersplitterten Streitkräften versehen. Okohandja, 
Otjimbingue und Karibib sind in der äußersten Bedrängnis. Windhuk 
selbst, die Hauptstadt des Schutzgebietes, ist ernstlich bedroht. Gleich die 
ersten Nachrichten zeigten die Notwendigkeit einer ernstlichen Verstärkung 
der Schutztruppe. Infolgedessen wurde die Entsendung von 500 Mann 
mit 6 Maschinengewehren und 6 Maschinenkanonen vorbereitet. Ihre Zu- 
stimmung zu dieser Maßnahme wird im Wege von Vorlagen erbeten, die 
ich — nach bereits erfolgter Genehmigung durch den Bundesrat — Ihrem 
Herrn Präsidenten hier übergebe und die einen Nachtragskredit für 1903 
und einen Ergänzungsetat für 1904 umfassen. Die erwähnten Truppen 
können jedoch nicht vor dem 30. Januar und dem 6. Februar die Ausreise 
antreten. Die am Samstag eingetroffenen Nachrichten indessen, die das 
Schlimmste befürchten lassen, machen sofortige weitere Maßnahmen nötig. 
Es sind deshalb noch gestern alle Vorbereitungen getroffen worden, um ein 
zusammengestelltes Bataillon Marine-Infanterie in der Stärke von etwa 
500 Mann nebst einigen Geschützen und einem Detachement Eisenbahn- 
Pioniere nach Swakopmund zu instradieren. Diese Truppen werden am 
Donnerstag Nachmittag in See gehen können auf einem Dampfer des 
Norddeutschen Lloyd, dessen Eintreffen in Swakopmund etwa am 8. Februar 
erwartet werden darf. Für die Kosten, die durch die Aussendung der 
Marine-Infanterie und des Eisenbahn-Detachements entstehen und in ihrer 
Höhe sich heute noch nicht genau feststellen lassen, werde ich zur gegebenen 
Zeit die nachträgliche Genehmigung des hohen Hauses nachsuchen. Bis 
zum Eintreffen der Marine-Infanterie wird ein jetzt unterwegs befindlicher 
Ablösungstransport von 230 Mann, der am 3. Februar in Swakopmund 
fällig ist, bereits einige Unterstützung gebracht haben. Außerdem hat das 
in Kapstadt stationierte Kanonenboot Habicht Befehl erhalten, nach Swakop- 
mund in See zu gehen; das Schiff trifft dort vermutlich heute ein. Die 
geplanten Maßnahmen sind, soweit sich die Sachlage bis jetzt übersehen 
läßt, das Mindestmaß dessen, was wir unseren in der Kolonie in vollster 
Pflichttreue wirkenden Beamten und Soldaten, sowie allen schuldig sind, 
die sich im Vertrauen auf den Schutz des mächtigen Deutschen Reiches in 
der Kolonie angesiedelt, insbesondere aber unseren Mitbürgern, die im 
fernen Lande dem deutschen Wesen eine neue Heimstätte begründet haben. 
Die Vorgänge der letzten Tage und die Hilferufe unserer auf das äußerste 
gefährdeten Landsleute werden — das hoffen die verbündeten Regierungen 
zuversichtlich — das deutsche Volk und seine Vertretung einmütig finden 
im sofortigen Handeln zum Schutze der Bedrängten und zur Verteidigung 
der Ehre unserer Fahne. (Lebhafter Beifall.) 
18. Januar. (Reichstag.) Interpellation über die Kündi- 
gung der Handelsverträge. 
Abg. Graf Kanitz (kons.) fragt, warum die Regierung die Handels- 
verträge noch nicht gekündigt habe. Die Meistbegünstigungsklausel sei ein 
Fehler, weil die meisten Länder dafür keine Konzessionen machten. Das 
Deutsche Reich habe keine Ursache, langfristige Handelsverträge zu schließen; 
gerade solchen Bestrebungen, wie Chamberlains, gegenüber müsse man freie 
Hand behalten. Für die Landwirtschaft seien Zölle in der Höhe des alten 
Generaltarifs unentbehrlich. Deshalb müßten die geltenden verderblichen 
Handelsverträge gekündigt werden. — Staatssekretär Graf Posadowsky: 
Die Regierung erstrebe eine Besserung für die Lage der Landwirtschaft, 
aber sie verfolge eine andere Taktik als der Vorredner. Sie wolle die 
neuen Verträge an die alten anknüpfen, um nicht Deutschland wirtschaft-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.