Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 3.) 159
Handel mit Waffen und Munition dem Gouvernement allein vorbehalten
blieb. Neben der Feuerwaffen- hat die Feuerwasserfrage die Verwaltung
im Rahmen der Eingeborenenpolitik von frühester deit an beschäftigt. Es.
bedurfte nicht langer Studien, um zu erkennen, daß die Eingeborenen das
letzte Stück Vieh, die letzte Landparzelle dem Branntwein opfern: nur
durch Erschwerung des Schnapsverkaufs konnte der erschreckenden Verarmung
gesteuert werden. Die Verschleuderung des Landbesitzes durch die Bildung
von Reservaten entgegenzuwirken, hat die Verwaltung zwar nicht ganz
unterlassen, aber nicht in dem Umfange versucht, wie die Missionen es
wünschten. Für die Witboi-Hottentotten besteht seit 1897, für die Herero
von Otjimbingwe seit 1903 ein Reservat; die generelle Regelung der Reservat-
frage für das ganze Hererogebiet lehnte die Regierung ab, weil sie aus
politischen und wirtschaftlichen Gründen eine gewisse Zurückhaltung für
nötig hielt und der Meinung war, daß die Voraussetzung für die Bildung
von Reservaten, nämlich die Gefährdung der Stammesexistenz durch Land-
verkäufe der Kapitäne, nicht gegeben war. Dagegen wurden durch Ver-
fügung des Gouverneurs vom 30. September 1903 die vorläufigen Grenzen
für Reservate im Okahandja- und Gobabis-Gebiet unter Zuziehung der
Eingeborenen mit der Maßgabe festgestellt, daß hier kein Landverkauf mehr
erfolgen dürfe. Dabei „scheinen allerdings auf seiten der Eingeborenen
Mißverständnisse untergelaufen zu sein, deren Beseitigung der Ausbruch des
Aufstandes verhinderte“. Händlertum und Kreditwesen werden im letzten
Abschnitt der Denkschrift erörtert. Er schildert die Entwicklung des Handels-
betriebs und die „rapid fortschreitende“ Verschuldung des Eingeborenen,
die energisch zu bekämpfen „geradezu eine Lebensfrage für das Schutzgebiet
geworden war“, und legt die Entstehung der Verfügung vom 23. Juli 1903
(Verbindlichkeiten Eingeborener erlöschen innerhalb eines Jahres nach Ab-
schluß der Rechtsgeschäfte mit Nichteingeborenen, es sei denn, daß vor Ab-
lauf dieser Frist der Gläubiger Klage erhebt u. s. w.) als eines Kompro-
misses zwischen der Regierung und der Kolonialratskommission dar. Un-
glücklicherweise brach gleich nach dem Inkrafttreten dieser Verfügung der
Aufstand der Bondelzwarts aus, der die Verwaltung stark in Anspruch
nahm, das Hererogebiet in der kritischen Uebergangszeit von Truppen und
Beamten entblößte, die ohnehin schwierige Kontrolle der Händler beim Ein-
treiben der Schulden noch mehr erschwerte, so daß Uebergriffe der letzteren
vorkamen. Trotzdem wäre der Herero-Aufstand, so heißt es in der Denk-
schrift wörtlich, auch ausgebrochen, wenn es nie einen weißen Händler dort
gegeben hätte. Der Uebergang von Stammesland in weiße Hände, die
Verarmung der mittleren kleinen Viehbesitzer, die Verschuldung der einzelnen
Stämme und die Uebergriffe mancher Händler haben selbstredend das Em-
pfinden der Eingeborenen gegenüber der deutschen Herrschaft nicht ver-
bessert.. ... Unmittelbare Ursachen der Empörung sind aber alle diese Er-
scheinungen nicht gewesen. Diese Annahme dürfte um so berechtigter sein,
wenn man erwägt, daß die Mehrzahl der vom Aufstand betroffenen Per-
sonen mit dem Händlertum gar keinen oder nur einen sehr losen Zusammen-
kang hatten.. Die Grundursache des Aufstandes ist in der doppelten
Tatsache enthalten, daß die Hereros als ein von alters her freiheitsliebendes,
eroberndes und maßlos stolzes Volk auf der einen Seite die Ausbreitung
der deutschen Herrschaft und ihre eigene Herabdrückung von Jahr zu Jahr
lästiger empfanden, auf der anderen Seite aber — und das ist das Ent-
scheidende — von dieser deutschen Herrschaft den Eindruck hatten, daß sie
ihr gegenüber im letzten Grunde der stärkere Teil seien.
3. Dezember. (Reichstag.) Etat. Trübe finanzielle Lage.
Schatzsekretär Frhr. von Stengel legt den Etat vor, der mit