Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.—22.) 11
aufsteigende Konjunktur. Die früheren Befürchtungen seien nicht ein-
getroffen, so daß das Jahr 1902 mit einem Ueberschuß von 15,6 Millionen
Mark abschlösse. 1903 werde mit einem Ueberschuß von mindestens 22
Millionen abschließen. Im Etat 1904 seien hohe kulturelle und wirtschaft-
liche Ausgaben angesetzt und könnten gedeckt werden. Die Kohlen- und
Eisenproduktion sei im letzten Jahre gestiegen; die Landwirtschaft habe
freilich im Osten teilweise schwer gelitten. Allerdings müsse die Industrie
mit der steigenden Konkurrenz Rußlands und Amerikas rechnen, aber außer
Amerika habe kein Land zum Pessimismus so wenig Grund wie Deutsch-
land. Es ist aber doch nötig, den Inlandsmarkt mehr zu pflegen als
bisher. Dieser ist der sicherste und konstanteste Abnehmer. Daher bin ich
immer für die Notwendigkeit eingetreten, unserer Landwirtschaft einen
ausreichenden Zollschutz zu gewähren. Dieser ist zugleich die größte Wohltat
für die Industrie, deren bester und gleichmäßigster Abnehmer die Land-
wirtschaft ist. (Lebhafter Beifall rechts.) Anderseits sollen die wirtschaft-
lichen Interessen des Landes gewahrt werden durch die große wasserwirt-
schaftliche Vorlage, die in absehbarer Zeit dem Hause zugehen wird. Ich
hoffe dringend, daß es diesmal gelingen wird, über diese für unsere wirt-
schaftliche Zukunft so wichtige Vorlage eine Verständigung mit dem hohen
Hause herbeizuführen. (Beifall links.)
20./21. Januar. (Reichstag.) Erste Beratung über den
Gesetzentwurf zur Einführung von Kaufmannsgerichten.
Der Entwurf schlägt in Städten mit über 50000 Einwohnern Er-
richtung von fakultativen Kaufmannsgerichten vor, Angliederung an die
Gewerbegerichte, die Bestellung von Juristen zu Vorsitzenden und deren
Stellvertretern, Besetzung mit je vier von den selbständigen Kaufleuten
und von den Handlungsgehilfen gewählten Beisitzern. — Abg. Lattmann
(wirtsch. Vgg.) beantragt obligatorische Errichtung und wünscht als Minimal-
grenze 20000 Einwohner unter Zusammenlegung kleiner Bezirke. Abg.
Trimborn (Z.) ist für die Vorlage bis auf einige Einzelheiten. Sie können
später an die ordentlichen Gerichte angegliedert werden. Abg. Singer
(Soz.): Die Vorlage sei sozial rückständig. Obligatorische Einrichtung sei
nötig und Sicherung der wirklichen Unabhängigkeit der Handlungsgehilfen.
Das passive Wahlrecht müsse mit 21 Jahren beginnen. Anwälte dürften
nicht zugelassen werden, Frauen müßten als Beisitzer fungieren dürfen.
Staatssekretär Graf Posadowsky lehnt die letzte Forderung unbedingt ab.
Abg. Beck (nl.) ist für fakultative Gerichte. Er habe zwar Bedenken gegen
Standesgerichte, aber nachdem man die Gewerbegerichte eingeführt habe,
seien die Kaufmannsgerichte unvermeidlich. Abg. Henning (kons.) ver-
wirft die Herabsetzung der Minimalziffer. — Am folgenden Tage wird der
Entwurf an eine Kommission verwiesen.
21. Januar. (Wilhelmshaven.) Der Lloyddampfer „Darm-
stadt" geht mit 500 Mann nach Südwestafrika in See.
21. Januar. (Berlin.) Staatsminister a. D. v. Maybach †. —
Geboren 29. November 1822 in Verne, 1857 Präsident der ober-
schlesischen Eisenbahn, 1874 Präsident des Reichseisenbahnamts,
1878 Handelsminister, 1879 Minister der öffentlichen Arbeiten,
1891 nahm er seine Entlassung.
22. Januar. (Stuttgart.) Der Philosoph Eduard Zeller
wird 90 Jahre alt. Der Kaiser schickt ihm folgendes Handschreiben: