Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

192 VSie erreichisch-ungerische Monarchie. (Mai 16.) 
Interpretationen vorbeugt und die Stabilität in den kommerziellen Trans- 
aktionen sichert. Wir schreiten ans Werk, frei von Engherzigkeit und klein- 
licher Pedanterie, aber entschlossen, für unsere vitalen Inteoessen mit vollem 
Nachdruck und unerschütterlicher Festigkeit einzutreten. 
In der Debatte behauptet Kramarcz (Tsch.), daß, wie das jüngste 
französisch-englische Abkommen und das Nachlassen der Spannung zwischen 
Rußland und England zeigten, die Gefahr einer Isolierung für Deutsch- 
land bestehe, welches namentlich durch seine Bestrebungen im europäischen 
Orient die politischen und wirtschaftlichen Interessen Oesterreichs und 
Italiens beeinträchtige. Die slawenfeindliche Regierung Oesterreichs unter- 
süte jene Bestrebungen Deutschlands. Redner schließt mit die Bedeutung 
es Dreibunds leugnenden Ausführungen. Graf Stürgkh: das Bundes- 
verhältnis Oesterreich-Ungarns mit Deutschland und Italien bilde im 
Verein mit dem Einvernehmen mit Rußland bezüglich des Balkans die 
wertvollste Garantie des europäischen Friedens. Das Deutsche Reich bekunde 
auch in den Handelsvertragsverhandlungen weitgehendes, anerkennenswertes 
Entgegenkommen gegenüber Oesterreich-Ungarn als Ausfluß seiner bundes- 
freundlichen Gesinnung, die sich auch auf das Gebiet des wirtschaftlichen 
Lebens erstrecke. Dziedus zyki spricht die Hoffnung auf eine baldige Be- 
endigung der innerpolitischen Wirren aus und schließt sich auch dem von 
den Vorrednern kundgegebenen Ausdrück der Befriedigung darüber an, 
daß die Ententemächte den ernsten Willen besitzen, auf der Balkanhalbinsel 
der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen. Minister Graf Goluchowski 
betont gegenüber Kramarz, der behauptete, Deutschland habe die Aktion 
der Ententemächte lau unterstützt, er könne nur mit besonderer Genug- 
tuung die Unterstützung hervorheben, die jene Aktion seitens Deutschlands 
gefunden habe. Das Verhalten Deutschlands, das wie Oesterreich-Ungarn 
die Erhaltung der Türkei wünsche, sei auch natürlich. Deutschland mußte 
bald erkennen, daß das, was wir verlangen, das Mindestmaß dessen ist, 
was erreicht werden kann, ohne die Integrität der Türkei zu erschüttern. 
Deshalb konnte Deutschland unsere Politik nur aufrichtig unterstützen. 
Kramarz habe Recht, wenn er sage, daß die Türkei trotz des Druckes der 
Großmächte noch immer Schwierigkeiten mache, um sich der loyalen Aus- 
führung des Reformprogramms zu entziehen. Daran seien aber nicht die 
Großmächte schuld, sondern die vielen kleinen Leute, die ein Interesse 
daran hätten, daß das Reformprogramm nicht durchgeführt werde. Dank 
der Festigkeit der Ententemächte seien diese jedoch zu der Einsicht gekommen, 
daß ihr Werk nicht gelingen kann. Dies sei der in letzter Zeit eingetretenen 
günstigen Wendung zuzuschreiben. Es gebe aber noch immer Zwischen- 
träger, die sich beim Sultan einschmeicheln wollen und ihm die Auffassung 
beibringen, es läge in seinem Interesse, sich dem Reformwerke zu wider- 
setzen, eine Auffassung, die aber vom Standpunkte einer gesunden türkischen 
Politik unbegreiflich wäre. Der Minister hebt sodann nochmals die loyale 
Unterstützung hervor, welche der Reformaktion seitens Deutschlands gewährt 
werde, und die in Wien wie in St. Petersburg in vollstem Maße ge- 
würdigt werde. Bezüglich einer Bemerkung Kramarcz' über die angebliche 
Vermittelung des deutschen Kaisers zur Herbeiführung einer Begegnung 
des Grafen Goluchowski mit dem italienischen Minister des Aeußeren er- 
klärte der Minister, er könne nur konstatieren, daß diese Begegnung voll- 
kommen spontan erfolgt sei, nachdem man in Wien wie in Rom dieselbe 
als nützlich anerkannt hatte. „Es traf sich,“ fuhr der Minister fort, „daß 
diese Zusammenkunft stattfand, bald nachdem in Italien die gegenwärtige 
Regierung ans Ruder kam, welche in sehr loyaler Weise den Willen be- 
kundete, mit uns auf freundschaftlichem Fuße zu stehen und zu der Er- 
  
 
	        
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