236 EGroßbritennien. (November 28.)
tober herum der Nordostseekanal klar sein müsse, um eventuell die Durch-
fahrt für die deutschen Schiffe nach der Nordsee zu erlauben, mag dahin-
gestellt bleiben; jedenfalls zeigt der Umstand, daß ein solches Gerücht bei
uns in England Glauben fand, daß beim englischen Publikum eine un-
behagliche Stimmung herrscht. Wenn wir argwöhnisch sind gegen die
Deutschen und den möglichen Gebrauch, welchen der Kaiser von seinen
Schiffen machen könnte, so haben er und seine Regierung sich das selbst zu
verdanken. Sicherlich ist es aber für eine große Seemacht wie England
unerträglich, daß es gezwungen sein soll, Vorsichtsmaßregeln zu treffen
gegen eine etwa auftauchende unfreundliche Aktion, welche von den augen-
blicklich bestehenden Umständen abhängig ist. Vordem hätten wir eine Flotte,
von der wir Grund hatten, anzunehmen, daß sie als Waffe zu unserem
Schaden gebraucht werden könnte, einfach vernichtet. Es fehlt nicht an
solchen, sowohl hier in England wie auf dem Festlande, welche die deutsche
Flotte als die alleinige Bedrohung für die Erhaltung des Friedens an-
sehen. Das mag der Fall sein oder nicht, wir sind es zufrieden, auszu-
sprechen, daß der gegenwärtige Augenblick ganz besonders günstig ist, um
die Meinung aufzuwerfen, daß diese Flotte fürderhin nicht vergrößert
werden solle. Frankreich und Italien, Oesterreich und Spanien würden
wahrscheinlich mit schlechtverhehltem Vergnügen, wenn nicht mit offener
Billigung, jeder Aktion zusehen, die darauf berechnet ist, ein dem dauernden
Frieden feindliches Element auszumerzen.“ (Vgl. S. 165.)
28.November. Warnung vor Unterstützung der russischen Flotte.
Der Staatssekretär des Auswärtigen Lord Lansdowne warnt in
einem offenen Schreiben die englischen Schiffsbesitzer vor der Vercharterung
von Dampfern zum Zwecke der Begleitung der russischen Flotte mit Kohlen-
vorräten und macht darauf aufmerksam, daß die Firmeninhaber, die sich
einer derartigen Handlung schuldig machten, mit Geld= oder Gefängnis-
strafen sowie mit Verlust ihrer Schiffe bestraft werden könnten.
November. Die Monatsschrift „Nineteenth Century“ ver-
öffentlicht ein Interview des deutschen Reichskanzlers.
Danach sagte der Kanzler u. a. in Bezug auf die englische Presse,
daß ein Teil der englischen Journalisten von Bedeutung deutschfeindlich
beeinflußt zu sein scheine, was er aufrichtig bedauere. Es mache den Ein-
druck, als wenn eine gewisse Schule den Zeitungskrieg gegen Deutschland
als Lebensaufgabe betrachte: den beiderseitigen Interessen werde aber durch
die Beseitigung der Mißstimmung sicherlich besser gedient als durch Er-
regung derselben. Er freue sich jedoch zu sehen, daß eine Gegenströmung
gegen die Verleumder eingesetzt und daß eine Anzahl englischer Blätter in
der letzten Zeit den Ton der Verbissenheit aufgegeben habe, der irritierend
gewesen sei. Graf Bülow kam dann auf die Behauptung zu sprechen,
Deutschland habe versucht, das Tibet-Abkommen zu verhindern. Er sei
überzeugt, daß man in England heute wisse, daß diese Meldung des Times-
Korrespondenten unbegründet war. Graf Bülow fügte hinzu: „Ich er-
mächtige Sie, offiziell festzustellen, daß Baron v. Mumm sich nicht in diese
Frage eingemischt hat und daß sich jede andere Darstellung als erfunden
charakterisiert.“ Der Reichskanzler sagte dann über das Verhältnis zu
Rußland: Die Behauptung, die Baltische Flotte sei durch deutsche War-
nungen nervös gemacht worden, habe in England ebenfalls erbittert. Be-
fürchtungen wegen der Sicherheit der Flotte habe man in offiziellen russi-
schen Kreisen bereits vor der Abfahrt der Flotte gehegt; schon im August
habe die russische Regierung die Aufmerksamkeit Deutschlands auf die Mög-
lichkeit eines Angriffs von deutschem Boden aus gelenkt. Deutschlands