238 Grofßbritemmien. (Dezember 10.)
kanzler, hege eine herzliche Abneigung gegen England, erwiderte Bülow:
„Diese Frage will ich als Politiker und als Mensch beantworten. Als
Politiker und deutscher Staatsmann bin ich der Meinung, daß es ver-
brecherisch wäre, eine Politik zu machen, die darauf gerichtet wäre, eine
Feindschaft zwischen zwei großen Nationen wie Deutschland und England
zu nähren, die beide für die zivilisierte Welt unentbehrlich sind. Ein Krieg
zwischen den beiden Völkern würde ein großes Unglück sein und es wäre
unverzeihlich für den Staatsmann, der ihn absichtlich hervorrufen würde
oder so handeln würde, daß er möglich oder wahrscheinlich gemacht würde.
Als Mensch kann ich Sie versichern, daß nichts meinen Gedanken ferner
liegen könnte, als Abneigung, geschweige denn Haß oder Feindschaft gegen
England. Ich bewundere dieses Land, sein Volk und seine Literatur und
weise mit größtem Nachdruck die Beschuldigung zurück, daß ich persönliche
Abneigung gegen England oder die Engländer empfände, eine Beschuldigung,
die mir neu und völlig unverständlich ist.“ Es ist auch nicht billig, dem
Historiker Treitschke Feindschaft gegen England nachzusagen. Wenn Stellen
angeführt werden, die antienglische Gefühle zum Ausdruck bringen, so
sollten auch, wie es recht und billig sei, die Stellen gegeben werden, die
von freundlicher Gesinnung gegen England zeugen. Es wird oft gesagt,
daß Fürst Bismarck ein Englandhasser gewesen sei. Das ist nicht wahr.
Was Sie hier auch sonst von seiner inneren Politik sagen mögen, ich kann
mit einiger Kenntnis von Bismarcks Politik sprechen: Ich weise mit
äußerstem Nachdruck die Anschauung zurück, daß er ein Feind Englands
war oder Pläne gegen Englands Stellung in der Welt hegte. Bezüglich
der Behauptung, daß unsere Flottenpolitik auf die Vorbereitung eines
Krieges mit England abzielt, kann ich gewissenhaft sagen, daß wir nicht
im Traume an einen solchen Krieg denken; es würde ein ungeheures Ver-
brechen sein, wenn wir das täten. Ein Krieg bis aufs Messer zwischen
England und Deutschland wäre politisch nur gerechtfertigt bei der An-
nahme, daß Deutschland und England die einzigen Konkurrenten auf der
Erdoberfläche wären, daß die Niederlage des einen die vollkommene Herr-
schaft des anderen bedeutet. Heutzutage ist aber eine Anzahl von Mächten
vorhanden, die dieselben Ansprüche erheben: der russisch-japanische Krieg
zeigt, daß ihre Zahl noch eine Vermehrung erfahren kann. („Allg. Ztg.“)
10. Dezember. Der Erste Lord der Admiralität Earl Selborne
legt eine Denkschrift über die Verteilung der englischen Flotte vor.
Darin wird als Ziel der Admiralität bezeichnet, daß die ganze
Flotte kriegsbereit in dem Sinne gehalten werden solle, daß sie gerüstet ist,
einen sofortigen Schlag führen zu können. Die Heimatsflotte soll künftig
Kanalflotte genannt werden; sie wird das Seniorkommando in der Flotte
darstellen und soll aus zwölf Schlachtschiffen und einer entsprechenden An-
zahl Kreuzer bestehen. Die jetzige Kanalflotte wird künftig Atlantische
Flotte genannt werden und ihre Basis in Gibraltar haben. Sie wird aus
acht Schlachtschiffen mit einer entsprechenden Anzahl Kreuzer gebildet sein.
Die übrigen Geschwader werden in drei Gruppen geteilt: in eine östliche
Gruppe, bestehend aus den Geschwadern in den Gewässern Chinas, Austra-
liens und Ostindiens, in eine westliche Gruppe, die aus den nordamerika-
nischen und den westindischen Geschwadern besteht, und in eine Kap-Gruppe,
welche ein Bindeglied zwischen den übrigen Gruppen bilden soll. Ferner
werden drei Kreuzergeschwader, nämlich ein Kanal-, ein Atlantisches und
ein Mittelmeer-Kreuzer-Geschwader, formiert, die für besondere Kreuzfahrten
zur Verfügung stehen.