250 Frankreich. (Oktober Ende. November Anfang.)
berät, bringt Abg. Briand (Rad) ein Projekt ein, Ministerpräsident Combes
legt ein Gegenprojekt vor (29. Otober). Hiernach soll den Kultusgemein-
schaften nicht eine einheitliche Leitung in ganz Frankreich, sondern nur in
den einzelnen Departements gestattet werden. Ferner werden alle öffent-
lichen Prozessionen verboten.
Ende Oktober. In der franzöfischen Presse wird behauptet.
Deutschland habe das russische Geschwader durch falsche Informa-
tionen über japanische Anschläge aufgeregt und dann auf die
Doggerbank gelockt, um England und Rußland zu entzweien.
Ende Oktober. Anfang November. Spitzelwesen in der Armee.
Kammerdebatten, tätlicher Angriff auf André. Republikanische und
reaktionäre Offiziere.
Der „Figaro“ behauptet, es bestehe in der Armee ein Ueberwachungs-
sostem der nichtfreimaurerischen Offiziere durch die Freimaurer. Unter
Billigung des Kriegsministeriums hätten die Logen einen Ausschuß zur
Ueberwachung der Offiziere organisiert, und von seinen Auskünften würde
die Beförderung der Offiziere abhängig gemacht. Die freimaurerischen Offi-
ziere dienten als Spitzel. — Am 28. Oktober wird Kriegsminister André
von den Nationalisten Rousset und Villeneuve interpelliert; sie be-
haupten, sein Adjutant, Hauptmann Mollin, führe den Briefwechsel mit
dem Ueberwachungsausschuß. André erwidert, davon wisse er nichts.
Am 29. Oktober reicht Mollin seine Entlassung ein.
In den folgenden Tagen veröffentlicht der „Figaro“ mehrere Briefe
aus dem Kriegsministerium und Notizen Waldeck-Rousseaus in Facsimile,
die beweisen sollen, daß André und Combes über das Spionagesystem ge-
wußt hätten. — Die Freimaurerloge „Großer Orient" erklärt in einem
Manifest an alle französischen Freimaurerlogen: „Wir erklären im Namen
der gesamten Freiheit, daß der Große Orient, indem er dem Kriegsmini-
sterium Auskünfte über die der Republik treuen Diener sowie über die-
jenigen geliefert hat, die infolge ihrer staatsfeindlichen Haltung die berech-
küsen Besorgnisse wachriefen, ein Recht ausgeübt und eine Pflicht er-
üllt hat.“
Am 4. November wirft Abg. Villeneuve in der Kammer dem
Kriegsminister vor, am 28. nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Kriegs-
minister André: Beim Antritt seines Amtes habe er überall klerikale und
politische Unduldsamkeit gegen die republikanischen Offiziere vorgefunden.
Nach vier Jahren angestrengter Bemühungen sei es ihm noch nicht ge-
lungen, die Duldsamkeit wieder im Offizierskorps heimisch zu machen. Er
sei sch bewußt, seine Pflicht getan zu haben und deshalb werde er von
der Reaktion angegriffen. Wenn er seine Pflicht als republikanischer Mi-
nister erfüllen wolle, sei er gezwungen, alle Mittel anzuwenden, die seinen
Nachforschungen dienen können. Man dürfe nicht zu den Zeiten zurück-
kommen, in denen republikanisch gesinnte Offiziere nichts erreichen konnten.
Er werde auf dem Dienstwege unvollständig über die politische Haltung
der Offiziere informiert, deshalb habe er im Einverständnis mit Waldeck-
Rousseau sich an das Ministerium des Innern und auch an Parlamentarier
gewandt. Ein Minister müsse Informationen aus allen Quellen nehmen,
benutzen dürfe er aber nur genau kontrollierte. Mit Hilfe der Auskunfts-
zettel sei es möglich gewesen, Ungerechtigkeiten, die gegen gewisse republi-
kanisch gesinnte Offiziere begangen worden waren, wieder gut zu machen.
Hauptmann Mollin sei ermächtigt gewesen, Auskünfte einzuziehen und ent-