Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

252 Kr###eich. (November 10.) 
der Gedanke kommen, daß das englisch-französische Abkommen auch diese 
Fragen berühre, deshalb dürfe nicht zugegeben werden, daß man vermuten 
könne, die Abkommen Frankreichs mit anderen Mächten seien gegen irgend 
eine Macht gerichtet. Wir sind der deutschen Diplomatie gegenüber in 
keiner Weise nachgiebig gesinnt und wir fürchten, daß sie den Konflikt im 
äußeren Osten zu verlängern suche, um die Arme in der Türkei frei zu 
haben. Wir möchten aber zu verstehen geben, daß an dem Tage, wo sie 
nicht mehr an ihre eigennützigen Bestrebungen denken und aufrichtig mit 
an der Befestigung des Friedens arbeiten wird, Frankreich ihr mit keinerlei 
Vorfrage entgegentreten wird. Wir sind nicht gesonnen, von der Gewalt 
begangene Verbrechen mit anderen Verbrechen der Gewalt zu erwidern, 
und wir wollen nicht von vorneherein jede Mitarbeit am Werke der 
Friedensstiftung zurückweisen. Gambetta selbst habe gesagt, er wolle eine 
Annäherung an Deutschland. (Widerspruch auf verschiedenen Bänken.) 
Wenn Gambetta oft von Zurückforderungen und Genugtuung gesprochen 
habe, so habe er doch niemals von Revanche gesprochen, und zwar, weil 
er eine andere Art von Genugtuung im Auge hatte. — Ueber Marokko 
biete der Vertrag Vorteile, könne aber gefährlich werden, weil das Recht, 
das er Frankreich zuerkenne, keines der Hindernisse beseitige, die sich dem 
friedfertigen Eindringen Frankreichs entgegenstellen würden. Er befür- 
wortet schließlich eine Politik des vorsichtigen, methodischen, friedfertigen 
Vordringens. 
Minister des Auswärtigen Delcassé bespricht das Abkommen aus- 
führlich und verteidigt zunächst die Bestimmung über Neufundland. Frank- 
reich gebe nur das Recht des Trocknens der Fische auf, behalte aber sonst 
alle seine nationalen Rechte. Dieser Konzession stelle er die Kompensationen 
gegenüber, die Frankreich im Sudan erlangt habe, wie die Berichtigung 
der Grenze im Sudan. Die Konvention beseitige eine Quelle des schweren 
Konfliktes zwischen England und Frankreich. Zwar würden auch hier von 
Frankreich Opfer gebracht; wer hätte aber nach 22 Jahren von England 
die Räumung Egyptens verlangen und Gefahren laufen wollen, die man 
damals, als England sich in Egypten festsetzte, nicht laufen wollte? Frank- 
reich habe dafür unbestreitbare Garantien für die Gläubiger der egypti- 
schen Staatsschuld erlangt. Er habe jedenfalls geglaubt, mit der Unter- 
zeichnung des Abkommens die Handeleinteressen Frankreichs sicherzustellen. 
Die Einfuhr Frankreichs nach Egypten belaufe sich auf 89 Millionen, was 
eine Zunahme von 30 Millionen gegenüber dem Jahre 1880 bedeute. Der 
Handel in Frankreich werde aus dem zunehmenden Wohlstande Egyptens 
Nutzen ziehen. Auch sonst seien die Interessen Frankreichs nicht vergessen. 
Die Konvention gestehe den französischen Schulen in Egypten die Freiheit, 
deren sie bedürften, zu. Die Sicherheit des Besitzes von Algerien hängt 
viel von Marokko und von seinen Beziehungen zu diesem Lande ab. Das 
Ziel der Regierung war es daher, in Marokko das Uebergewicht Frank- 
reichs herzustellen und so seine Stellung im Mittelmeer zu stärken, ohne 
die Interessen einer anderen Nation zu schädigen. Wir haben weder Zeit 
noch Mühe verloren. Das mit Italien abgeschlossene Abkommen leistet 
uns Gewähr für ein schiedlich-friedliches Nebeneinander der beiden Nationen 
im Mittelmeer. Spanien ist der nächste Nachbar von Marokko. Wir 
konnten seine rechtmäßigen Interessen und Ansprüche nicht außer acht lassen. 
Da alles zu einem Abkommen riet, das diese Interessen und zur selben 
Zeit die Integrität Marokkos gewährleistete, so wurde unter diesen Be- 
dingungen das Abkommen unterzeichnet. 
Die Kammer billigt mit großer Mehrheit das Abkommen und Del- 
casss Ausführungen.
	        
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