Italien. (Oltober 18.) 261
lage. Das Ministerium habe gehofft, die Handelsvertragsfragen und die
Organisation der Eisenbahnen im Verein mit der bisherigen VBolksver-
tretung noch lösen zu können, das Land sei jedoch durch künstlich hervor-
gerufene Ruhestörungen aufs tiefste in Verwirrung gebracht worden, und
es sei dadurch ein Zustand geschaffen, der der Kammer nicht die nötige
Ruhe geben würde, die für die wirtschaftliche Zukunft Italiens entschei-
denden vitalen Fragen zu lösen. Das Ministerium schlage deshalb dem
Könige vor, an das Land zu appellieren, damit das Land selbst dem
Ministerium die Wege weise, die es befolgt zu sehen wünsche. Das Mini-
sterium werde an den seit dem Februar 1901 befolgten Normen nichts
ändern. Das Vertrauen in die liberale Politik der Regierung könne nicht
durch Gewalttätigkeiten einer kleinen Minderheit, die im ganzen Lande
Mißbilligung erfahren habe, erschüttert werden. Diese Gewalttätigkeiten
geigten ogar, daß die revolutionären Elemente, die unter einem freien
egime jede Existenzberechtigung und jedes Ansehen verlören, die Freiheit
fürchteten. Sie hätten durc ihr Auftreten gezeigt, daß sie, um beherr-
schenden Einfluß zu gewinnen, genötigt seien, jede Freiheit zu unterdrücken,
auch die Freiheit der Presse, da sie sich in der Unmöglichkeit befänden,
durch Vernunftgründe ihre törichten Ideen zu belegen. Die Erfahrung der
letzten Jahre habe bewiesen, daß das Regime der Freiheit in materieller
und moralischer Hinsicht namentlich den Arbeitern und der Landbevölke-
rung zu gute komme. Die Regierung sei überzeugt, daß nur durch die
Fürsorge für das Wohl der arbeitenden Klassen auch das wahre Wohl des
Landes und der wahre soziale Friede gesichert werden könne. Sie werde
an dieser Richtschnur festhalten im Vertrauen darauf, daß die Arbeiter-
klassen ihr wahres Interesse immer mehr begreifen lernten. In der großen
sozialen Reformbewegung, die sich in den letzten Jahren in Italien voll-
zog, habe man einige Unzuträglichkeiten und Gewaltsamkeiten zu beklagen
gehabt. Es sei Pflicht der Regierung, die Ursachen derselben zu studieren
und Heilmittel dafür zu suchen. Deshalb und in Anbetracht des Um-
standes, daß die Ordnung in gefährlicher Weise durch Sträflinge gestört
worden sei, werde die Regierung dem Parlamente Gesetzentwürfe betreffend
die Vermehrung der Sicherheitspolizei und den Strafvollzug vorlegen.
Ferner werde die Regierung in dem Bestreben, eine Gefährdung der Frei-
heit hintanzuhalten, dem Parlamente Gesetzentwürfe unterbreiten, durch
die der Unterricht und die Erziehung der unteren Schichten verbessert und
auch die Ausbildung der wohlhabenden Klassen mehr den Erfordernissen
der Neuzeit entsprechend geregelt werden sollen. Die Regierung sei für
die Verstaatlichung der Eisenbahnen; Regierung und Parlament müßten
sich mit den Fragen beschäftigen, wie man Ausstande des Eisenbahnperso-
nals und des Personals der anderen öffentlichen Anstalten verhindern, zu-
gleich aber auch den berechtigten Forderungen dieser Angestellten Rechnung
tragen könne. Nach der Beschlußfassung über die Handelsverträge und
Eisenbahnfragen werde sich das Parlament wieder mit der Sozialpolitik
und der Reform der Steuergesetzgebung zu befassen haben. Diejenigen,
welche die Finanzen und den Staatskredit zu schwächen und die Zeit von
Emissionen und Schulden wieder zu eröffnen suchten, seien die gefährlichsten
Feinde der Arbeiterklasse. Die Pflicht, das Budget zu schützen, ergebe sich
auch daraus, daß nur durch Befestigung des öffentlichen Kredits die Kon-
version der Staatsschuld in einem nicht zu fernen Zeitraum möglich sein
werde. Die Konversion wäre schon durchgeführt, wenn nicht der Krieg im
fernen Osten den ganzen Weltmarkt erschüttert hätte. Man müsse ferner
bedenken, daß es ohne ein solides Budget zwecklos sei, von Steuerreformen
zu sprechen, und daß der Regierung eine hohe nationale Aufgabe gestellt