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sei, nämlich das Werk der wirtschaftlichen Wiederaufrichtung der südlichen
Provinzen fortzusetzen. Die von Italien und seinen Verbündeten loyal
beobachteten Bündnisverträge und die herzliche Freundschaft mit den be-
nachbarten Mächten sicherten erfreulicherweise zur Zeit die Erhaltung des
Friedens. Es stehe aber außer Frage, daß die Verteidigung des Landes
nicht im Augenblick der Gefahr improvisiert werden könne, sondern daß sie
von langer Hand vorbereitet werden müsse. Bündnisse würden zwischen
starken Völkern geschlossen und aufrecht erhalten, sie dürften aber, wenn
die Würde des Landes gewahrt bleiben solle, niemals die Form eines
Schutzverhältnisses annehmen. Diese Notwendigkeit stark zu sein und sich
sicher zu wissen, werde so tief empfunden, mehr noch durch die Völker als
durch die Regierungen, daß in unseren Zeiten gerade die Länder, welche
die populärsten Regierungen haben, ihre militärischen Ausgaben beträcht-
lich vermehrten. Irgend eine Herabsetzung des Heeresbudgets sei daher
mit der Sicherheit des Staates unvereinbar.
6./13. November. (Kammerwahlen.)
Das Ministerium Giolitti erhält eine große Mehrheit. Die Tribuna
berechnet, die neue Deputiertenkammer werde sich zusammensetzen aus 343
Ministeriellen, 39 Mitgliedern der konstitutionellen Opposition, 37 Radi-
kalen, 27 Sozialisten, 21 Republikanern, 14 Unabhängigen und 2 Kleri-
kalen. — An vielen Stellen beteiligen sich die Klerikalen, obgleich das
Non expedit nicht ausdrücklich aufgehoben worden ist. Sie treten im all-
gemeinen gegen die Sozialisten und Radikalen ein.
24. November. Unterstaatssekretär Majorana wird zum
Finanzminister ernannt.
27. November. (Mailand.) Bei der Ergänzungswahl von
30 Munizipalräten siegen die vereinigten Katholiken und Gemäßigten
über die extremen Parteien mit großer Mehrheit.
November. In Rom und anderen Städten finden Protest-
versammlungen statt gegen die „Gewalttaten teutonischer Wildheit"
in Innsbruck (S. 202).
30. November. Der König eröffnet das Parlament.
In der Thronrede richtet der König an die gesetzgebenden Körper-
schaften die Aufforderung, itre Sorgfalt besonders den arbeitenden Klassen
u widmen, um ihnen die Mittel zur Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse
sortschreitend zu erhöhen und billige und friedliche Lösungen der Inter-
essenkämpfe zwischen Kapital und Arbeit anzubahnen. Der scharfe Gegen-
net zwischen Kapital und Arbeit werde in vielen Fällen durch Schieds-
pruch gelöst werden können, welcher der Gerechtigkeit und Billigkeit den
Sieg sichern werde. Ebenso wie die bürgerliche Gesellschaft in den Fragen
zwishen einzelnen Individuen Gerechtigkeit an Stelle der Gewalt gesetzt
8 so werde auch dieser neue große Schritt auf dem Wege der Zivili-
ation die Gerechtigkeit zur Herrscherin in den Beziehungen zwischen den
sozialen Klassen machen. Zu diesem großen Fortschritt werde auch der
weiter ausgedehnte, den neuen Zeitverhältnissen mehr angepaßte Unterricht
mächtig beitragen, mit dem die Regierung und das Parlament sich be-
schäftigen würden. Es wird hierauf des nach langen, arbeitsreichen Unter-
handlungen erfolgten Abschlusses neuer Handelsverträge mit dem Deutschen
eiche, mit der Schweiz und mit Oesterreich--Ungarn gedacht. Damit seien