Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

22 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 11. 12.) 
Gesinde oder landwirtschaftliche Arbeiter, von denen er weiß oder an- 
nehmen muß, daß sie noch einem anderen Arbeitgeber verpflichtet sind, 
a) in Dienst nimmt, b) während der Dauer dieser Verpflichtung in Dienst 
behält, sofern nicht vier Wochen seit der unrechtmäßigen Lösung des Dienst- 
verhältnisses verstrichen sind, 2. derjenige bestraft wird, der die Arbeits- 
vermittelung für solche Arbeiter oder Gesinde (Nr. 1) übernimmt, 3. end- 
lich derjenige bestraft wird, der Gesinde oder einen landwirtschaftlichen 
Arbeiter verleitet, widerrechtlich einen Dienst nicht anzutreten, vorzeitig zu 
verlassen, oder die vertragsmäßige Arbeit niederzulegen." 
Abg. Kuntze (kons.): Der Antrag sei notwendig, weil sich unter 
den jüngern ländlichen Arbeitern viele unruhige, schlechte Elemente be- 
finden, die man seßhaft machen müsse. Abg. Hoffmann--Dillenburg (nl.) 
hat Bedenken, weil man schwer entscheiden könne, ob ein Arbeiter kontrakt- 
brüchig sei. Abg. Goldschmidt (fr. Vp.): Der Antrag durchbreche das 
bisherige Rechtssystem, das den Arbeitsvertragsbruch dem bürgerlichen und 
nicht dem Strafgesetz zuweise. Die Charakteristik der ländlichen Arbeiter 
durch Abg. Kuntze sei ungerecht. Abg. Herold (Z.): Streik in der Land- 
wirtschaft sei schlimmer als in der Industrie, denn er vernichte bereits er- 
zeugte Werte und sei ohne strafbaren Kontraktbruch nicht ausführbar. Der 
Antrag solle das in Arbeiterkreisen gesunkene Rechtsgefühl wieder stärken. 
Landwirtschaftsminister v. Podbielski verspricht, den gewünschten Gesetz- 
entwurf vorzulegen. — Der Antrag wird gegen die Stimmen der Frei- 
sinnigen und mehrerer Nationalliberaler angenommen. 
11. Februar. (Baden.) In der Zweiten Kammer erklärt 
Minister Schenkl, die Regierung halte die Rechtsfähigkeit der Ar- 
beiterberufsvereine und die reichsgesetzliche Einrichtung des Zehn- 
stundentags für Arbeiterinnen für wünschenswert. 
11. Februar. Der Reichstag genehmigt nach kurzer Debatte 
in erster und zweiter Lesung den Entwurf über die Reichsschulden- 
ordnung. 
12. Februar. Das Preußische Abgeordnetenhaus be- 
spricht bei der Beratung des Gestütsetats in lebhafter Diskussion 
die Lage der Volksschullehrer an den Gestüten (vgl. 1903 S. 30). 
12./20. Februar. (Hamburg.) Bürgerschaftswahlen. 
Bei der halbschichtigen Bürgerschaftswahl werden gewählt in der 
Hauptwahl 4 Mitglieder der Rechten, 6 des linken Zentrums, 12 der 
Linken, 12 Sozialdemokraten. Bei den Stichwahlen am 20., die in 6 Be- 
zirken stattfinden und unter außerordentlicher Beteiligung verlaufen, unter- 
liegen die Sozialdemokraten überall. Die Sozialdemokraten waren bisher 
noch nicht vertreten; die Antisemiten verlieren sämtliche Mandate. 
12. Februar. Im Preußischen Herrenhaus hält Minister 
der öffentlichen Arbeiten Budde eine Rede über die Betriebssicher- 
heit der Eisenbahnen und die Agitationen unter den Arbeitern 
(vgl. 1903 S. 47): 
Die Hauptsache sind nicht die finanziellen Ergebnisse, sondern die 
Betriebssicherheit. Die Unfallstatistik beweist, daß pro Betriebskilometer 
im Jahre 1893 8,12 und 1902 5,81 Unfälle vorkamen. Freilich ist das 
noch immer zu hoch, aber ein schöner Erfolg ist es doch. (Beifall.) Un- 
 
	        
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