28 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 19./26.)
Am 20. Februar polemisiert Abg. Segitz (Soz.) scharf gegen die
Liberalen, die sich durch die Wahlkreiseinteilung Vorrechte schaffen wollten.
Die Regierung habe die Pflicht, durch Verkleinerung der Wahlkreise eine
gerechtere Verteilung der Mandate zu erzielen. — Am folgenden Tage
wendet sich Ministerpräsident v. Podewils gegen die Beschuldigung der
Liberalen, mit dem Zentrum den Entwurf vereinbart zu haben; er habe
nicht nur mit Führern des Zentrums, sondern auch der Liberalen ver-
handelt. — Die Generaldebatte wird nach außerordentlich lebhafter Dis-
kussion am 23. geschlossen.
Am 26. Februar stellt Abg. Dirr (fr. Bgg.) den Antrag, die Vor-
lage an den Ausschuß zurückzuweisen, um eine Verständigung zu versuchen.
Der Antrag wird durch Zentrum und Sozialdemokraten abgelehnt. Am
29. Februar wird folgender Antrag Hammerschmidt (lib.) gegen die
Stimmen der Liberalen und freien Vereinigung abgelehnt: Die Wahl der
Abgeordneten ist direkt und geheim. Sie erfolgt durch absolute Mehrheit
aller in einem Wahlkreise abgegebenen gültigen Stimmen. Stellt sich bei
einer Wahl eine absolute Mehrheit der zu Wählenden nicht heraus, so sind
weitere Wahlhandlungen vorzunehmen. Bei denselben sind nur diejenigen
Stimmen gültig, welche auf die zwei, oder, sofern zwei Abgeordnete zu
wählen sind, auf die vier Kandidaten fallen, die im vorausgegangenen
Wahlgange die meisten Stimmen erhalten haben. Ergibt sich bei einer
dieser Wahlhandlungen Stimmengleichheit, so entscheidet das Los, welches
der Wahlkommissär zu ziehen hat.
Folgender Antrag Segitz (Soz.) wird durch Zentrum und Sozial-
demokraten angenommen: Die Kammer wolle beschließen: Es sei dem Ar-
tikel 14 folgende Fassung zu geben: Die Wahl der Abgeordneten ist direkt
und geheim. Sie erfolgt durch absolute Mehrheit aller in einem Wahl-
kreise abgegebenen gültigen Stimmen. Stellt sich bei einer Wahl eine
solche Mehrheit nicht heraus, so ist eine weitere Wahlhandlung vorzu-
nehmen, bei welcher die relative Mehrheit ohne Rücksicht auf ihr Verhältnis
zur Gesamtzahl der abgegebenen gültigen Stimmen entscheidet. Ergibt sich
bei einer dieser Wahlhandlungen Stimmengleichheit, so entscheidet das Los,
das vom Wahlkommissär gezogen wird.
Hierauf wird über das ganze Gesetz namentlich abgestimmt. Von
156 Stimmen sind 90 (Zentrum, Sozialdemokraten, 3 Abgeordnete der
freien Vereinigung dafür, 66 dagegen; da das Gesetz nicht die Zweidrittel-
majorität erhalten hat, ist es gefallen.
19./26. Februar. (Reichstag.) Beratung des Militäretats
in der Budgetkommission.
Vornehmlich wird der Etat der ostasiatischen Brigade beraten. Es
werden gefordert für 1904 12237002 Mark, wozu noch 1872700 für Pen-
sionen kommen. Die Abgg. Müller-Fulda (Z.) und Paasche (ul.) tadeln
die Höhe des Etats und fordern, daß das Offizier- und Verwaltungs-
personal vermindert werde, da es für die 2200 Mann der Brigade viel
zu hoch sei. — Die Kommission beschließt, vom Etat etwa 1½ Mill. Mark
abzusetzen und das Offizier- und Verwaltungspersonal zu verringern.
Zum Heeresetat werden sechs Resolutionen angenommen, in denen
ersucht wird: 1. daß zur Verhütung der Soldatenmißhandlungen gegen die
für die Disziplin verantwortlichen Vorgesetzten das Strafverfahren unnach-
sichtlich eingeleitet werde; 2. daß im Interesse der heimischen Landwirt-
schaft die Einberufung zu Truppenübungen möglichst nicht während der
Ernte stattfinden soll; 3. daß in Zukunft Kasernenbauten nicht durch städ-
tische Verwaltungen, sondern durch das Reich errichtet werden; 4. daß den-