Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 22.) 31 
gramm Scheljakows bleibt unser Vermächtnis; er war beteiligt bei drei 
Attentaten auf Alexander II....“ Und diese Männer werden in diesen 
Schriften als nachahmenswerte Vorbilder hingestellt. In einem beim Ar- 
beiter Kleine beschlagnahmten Aufruf wird ebenfalls aufgefordert, den 
Fahnen aller der Personen zu folgen, welche an Attentaten beteiligt ge- 
wesen seien; und diese Attentate werden verherrlicht; Propaganda-Agita- 
tionen, Demonstrationen seien die Mittel der Revolutionäre; die Revolu- 
tionäre dürften sich aber nicht darauf beschränken, sie müßten den Kampf 
mit dem Revolver in der Hand führen, damit überall Terror hervorgerufen 
würde, ohne den Terror, der in ganz Rußland verbreitet werden müßte, 
könne der Kampf nicht geführt werden. Der Terror müsse systematisch an 
allen Orten verbreitet werden: Tod Nikolaus II., es lebe die Freiheit des 
Volkes! Versammlungen von Sozialdemokraten hätten gegen das Vor- 
gehen der Behörden gegen Männer protestiert, welche an der Aufklärung 
des russischen Volkes mitarbeiteten. Ich nenne das Aufforderung zum 
Fürstenmord und Umsturz der bestehenden Gewalten. Das ist der Tat- 
bestand der Vorbereitung zum Hochverrat gegen einen befreundeten Staat 
und befreundeten Monarchen. Unser Vorgehen dagegen ist begründet, Ruß- 
land hat uns Gegenseitigkeit zugesichert. Nach dem Antrag der russischen 
Regierung ist den Vorschriften genau entsprechend Anklage auf Grund der 
§§ 102 und 103 erhoben. Die russische Botschaft hat uns ausdrücklich 
Gegenseitigkeit verbürgt. Die Beteiligten erfreuen sich in dem Verfahren 
des Schutzes, der jedem Preußen im Prozeß zusteht. Ueber die Einzel- 
heiten könnte ich auch dann nicht Auskunft geben, wenn ich darüber unter- 
richtet wäre. Wie der Ausgang der Untersuchung sein wird, weiß ich 
nicht; aber ausgeschlossen ist, daß die preußischen Justizbehörden gegen das 
Gesetz verstoßen und Rußland Schergendienste leisten. Der Kampf gegen 
die Anarchisten ist in allen Staaten in gleicher Weise vorhanden. Welche 
Personen sind es denn, die sich an diesem russischen Schriftenschmuggel be- 
teiligen? Charakteristisch ist, daß diese sämtlichen Personen der sozial- 
demokratischen Partei angehören, die sonst den Anarchismus von sich ab- 
weist. Es sind nur Sozialdemokraten, nur Genossen, die bei der Sache 
beteiligt sind. Aus einer beschlagnahmten Korrespondenz geht hervor, daß 
dieser Schriftschmuggel von der Sozialdemokratie als Partei organisiert ist 
und daß die Zentralleitung der Partei der Sache nicht fern steht, wie aus 
der Korrespondenz hervorgeht. 
Minister des Innern v. Hammerstein sagt über die Ausweisungen: 
Bei Landesverweisungen wird auf die Wünsche des Betreffenden nach Mög- 
lichkeit Rücksicht genommen. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts 
hat im Reichstag vollständig richtig erklärt, daß es im Belieben des Aus- 
wärtigen Amtes stände, die Grenze zu wählen, welche der Staat für die 
richtige halte. Nur die Ausweisungsbehörde hat zu bestimmen, in welcher 
Form die Ausweisung erfolgt, ob mit unmittelbarem Zwange durch die 
zwangsweise Zuführung oder nur durch mittelbaren Zwang unter An- 
drohung der zwangsweisen Zuführung. Bei uns besteht die Regel, daß 
der Ausgewiesene nach jeder ihm zusagenden Grenze gebracht wird. Be- 
steht allerdings die Gefahr der Zurückweisung durch den Nachbarstaat, so 
wird er unweigerlich an die Grenze des Heimatstaates ausgewiesen. Da- 
von besteht nur eine Ausnahme für die Anarchisten. In diesem Kampfe 
fühlen sich die Kulturstaaten solidarisch; die Ausweisung erfolgt deshalb 
stets gegen die Grenze des Heimatlandes. Das beruht zum Teil auf be- 
sonderen Verabredungen, zum Teil auf der Abneigung aller Staaten, einen 
solchen Mann einem Dritten, Unbeteiligten, zuzuführen. Bei einem Hilfs- 
bedürftigen findet vorher immer eine Verständigung mit dessen Heimat-
	        
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