Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

40 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 4./16.) 
v. Below wünscht eingehende Prüfung in der Kommission, um 
alles zu vermeiden, was in Polen anstatt Frieden neuen Zwiespalt schaffen 
könne. Fürst Radziwill: Das Gesetz wolle durch den § 15b den Polen 
die Ansiedlung unmöglich machen und die katholische Bevölkerung zurück- 
drängen; es sei eine Fortsetzung des Kulturkampfs. Professor Schmoller 
ist für das Gesetz. Wenn die Staatsregierung erkläre, das große Werk 
unserer Kolonisation in Posen und Westpreußen sei ohne die Kompetenzen 
im § 15b gefährdet und rein unmöglich, so müssen wir der Regierung 
dieses Recht einräumen, weil die salus publica uns am hoöchsten steht. 
Landwirtschaftsminister v. Podbielski: Die Regierung habe gewußt, daß 
der § 15 b angegriffen werden würde, sie brauche ihn aber als Waffe in 
dem ihr von den Polen aufgedrungenen Kampfe. 40000 Hektar seien in 
den letzten Jahren in polnischen Besitz übergegangen, in Oberschlesien ver- 
mehre sich die großpolnische Propaganda, in Hinterpommern beginne schon 
eine polnische Parzellierungsbank ihre Tätigkeit. Dieser polnischen Offensive 
solle der § 15b entgegenwirken. v. Koscielski: Das Gesetz sei ein Ein- 
bruch in das Eigentumsrecht und verstoße gegen das Bürgerliche Gesetz- 
buch. Die Vermehrung des polnischen Besitzes sei eine Folge des polnischen 
Fleißes, während die Deutschen vom Staate Millionen erhielten. Das 
Gesetz, das der Ostmarkenverein erzwungen habe, werde auch die Deutschen 
schädigen, denn der Boden werde an Wert verlieren. Die Polen würden 
trotz der Schädigungen nicht nachgeben. Minister des Innern Frhr. v. Ham- 
merstein: Das Gesetz beziehe sich gleichmäßig auf Polen und Deutsche, 
sei also nicht verfassungswidrig. Auch vor einem Ausnahmegesetz gegen 
die Polen würde er im Notfalle nicht zurückschrecken. Graf Oppersdorf: 
Das neue Gesetz werde nicht mehr erreichen als die älteren Ansiedlungs- 
gesetze; es werde nur die Verbitterung auf beiden Seiten steigern. Kultus- 
minister Studt: Nicht der Ostmarkenverein ist für uns maßgebend, son- 
dern das öffentliche Wohl gegenüber dem aggressiven Vorgehen der Polen. 
Die Polen überwuchern, es bleibt von deutscher Bildung wenig übrig. Es 
muß zugestanden werden, daß der größte Teil der neuen Ansiedler An- 
gehörige der evangelischen Kirche sind. Dieser Zustand ist uns aber auf- 
gedrungen worden. Die Evangelischen bleiben Deutsche, die Katholiken 
polonisieren sich. Das hat uns schon 200000 Seelen gekostet. Auch bietet 
die katholische Seelsorge große Schwierigkeiten. Im übrigen haben wir 
keinen Rückgang der katholischen Bevölkerung zu beklagen. In den Jahren 
1895 bis 1900 hat die Zahl der Evangelischen dort um ein Drittel Pro- 
zent zugenommen, die Zahl der Katholiken um 3,6 Prozent. 
Das Gesetz wird an eine Kommission verwiesen. 
4./16. März. (Reichstag.) Zweite Beratung des Militär- 
etats. Freiheit der militärischen Kritik. Sozialdemokraten in der 
Armee. 1806 und 1813. Mißhandlungen. 
Abg. Müller-Fulda (3.) berichtet über die Kommissionsverhand- 
lungen. Im nächsten Jahre werde ein neues Militärgesetz vorgelegt werden, 
das im wesentlichen eine Verbesserung des jetzigen Zustandes enthalte. 
Abg. Bebel (Soz.) kritisiert die Militärverwaltung scharf, insbesondere die 
Soldatenmißhandlungen, die stetig zunähmen. Es würde mit Unrecht be- 
hauptet, daß die Mißhandlungen von sozialdemokratischen Soldaten provo- 
ziert würden; im Gegenteil, die Sozialdemokraten seien die besten Sol- 
daten, weil sie eine höhere Intelligenz als die übrigen besäßen; das habe 
schon Caprivi 1893 anerkannt. Der Kriegsminister suche die Kritik an 
den militärischen Dingen zu unterdrücken und insbesondere die inaktiven
	        
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