Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 17.) 63
Gewiß, m. H., wenn eine Partei, wie nach den gegenwärtigen Verhält-
nissen das Zentrum, die stärkste Partei im Reichstage ist, so legt ihr das
meines Erachtens ganz besondere Pflichten auf gegenüber dem Vaterlande,
es legt ihr die Pflicht auf, dafür zu sorgen, daß die Regierungsmaschine
im Gange bleibt. (Sehr richtig!l) Wenn die Partei sich dieser Verpflich-
tung entzöge, so würde dadurch nicht nur das Wohl des Landes geschädigt
werden, es würde sich auch unfehlbar an der Partei selbst rächen. Ich
betrachte es aber nicht nur als meine Aufgabe, Fühlung zu halten mit
den staatserhaltenden Parteien, ich betrachte es auch als meine Pflicht,
darüber hinaus die staatserhaltenden Parteien zu einigen gegenüber den
Gefahren, auf die ich vorgestern am Schluß meiner Ausführungen hin-
gewiesen habe. Und ich kann nur mein Bedauern darüber aussprechen,
wenn mir diese meine Aufgabe so sehr erschwert wird, wie das durch Reden
geschieht, wie sie gestern Herr von Eynern und heute Herr Dr. Friedberg
gehalten haben.
In den folgenden Tagen werden u. a. die nationalen Verhältnisse
in Oberschlesien diskutiert. Dabei wird von allen deutschen Parteien, auch
vom Zentrum, die radikale polnische Agitation als hetzerisch und staats-
gefährlich verurteilt. Die Abgeordneten des Zentrums fordern zur Abhilfe
Befriedigung gewisser polnischer Forderungen, wie des polnischen Religions-
unterrichts, der Kultusminister Studt und die Redner der übrigen Par-
teien lehnen jede Aenderung der bisherigen Politik ab. — Weiter wird
über die zunehmende Verrohung der Jugend geklagt; es wird gefordert,
daß die Schule den Nachdruck mehr auf die Erziehung als auf die Ueber-
mittlung formalen Wissens legen möge. Redner des Zentrums und der
Rechten verlangen Stärkung des kirchlichen Einflusses in der Schule, die
der Linken wünschen eine Beaufsichtigung der Schulen allein durch Fach-
männer.
Nach der Osterpause (23. März bis 12. April) wird u. a. von west-
lichen Abgeordneten gefordert, daß Münster eine medizinische und prote-
stantisch-theologische Fakultät erhalte, was die Regierung vorläufig ablehnt.
Ferner wird besprochen die Förderung der Reformgymnasien, die Freiheit
und Gleichberechtigung der Kunstrichtungen.
17. März. (Reichstag.) Erste Beratung der Forderungen
für Südwestafrika.
Zur ersten Beratung stehen: Erster Nachtrag zum Reichshaushalts-
etat und zum Etat für die Schutzgebiete für 1903, sowie der zweite Er-
gänzungsetat zum Reichshaushaltsetat und zum Etat der Schutzgebiete
für 1904. Im zweiten Nachtragsetat werden 3092000 Mark aus Anlaß
der Expedition in das südwestafrikanische Schutzgebiet gefordert; im zweiten
Nachtrag für die Schutzgebiete: 1727000 Mark für die Verstärkung der
Schutztruppe zur Niederwerfung des Hereroaufstandes. Im zweiten Er-
gänzungsetat für 1904 sind gefordert: 3197000 Mark als Zuschuß zur
Bestreitung der südwestafrikanischen Verwaltungsausgaben aus Anlaß der-
selben Expedition, sowie 513000 Mark an besonderen Ausgaben für die
Reichspost- und Telegraphenverwaltung aus demselben Anlaß.
Die Vorlagen werden an die Budgetkommission verwiesen. In der
Debatte wird von sämtlichen bürgerlichen Parteien betont, daß man einst-
weilen die Kritik der Vorgänge in Südwestafrika verschieben müsse, bis
genauere Nachrichten vorlägen. Einstweilen käme es darauf an, schleunigst
Hilfe zu bringen. Nur Abg. Bebel protestiert im Namen der sozialdemo-
kratischen Partei gegen die Forderungen und greift die Kolonialpolitik
scharf an; die Hereros seien im Grunde menschlicher als die Deutschen,